А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

« »Sehen Sie«, sagte der Gerichtsdiener, »immer trдgt man sie mir weg. Heute ist doch Sonntag, und ich bin zu keiner Arbeit verpflichtet, aber nur, um mich von hier zu entfernen, schickt man mich mit einer jedenfalls unnьtzen Meldung weg. Und zwar schickt man mich nicht weit weg, so daЯ ich die Hoffnung habe, wenn ich mich sehr beeile, vielleicht noch rechtzeitig zurьckzukommen. Ich laufe also, so sehr ich kann, schreie dem Amt, zu dem ich geschickt wurde, meine Meldung durch den Tьrspalt so atemlos zu, daЯ man sie kaum verstanden haben wird, laufe wieder zurьck, aber der Student hat sich noch mehr beeilt als ich, er hatte allerdings auch einen kьrzeren Weg, er muЯte nur die Bodentreppe hinunterlaufen. Wдre ich nicht so abhдngig, ich hдtte den Studenten schon lдngst hier an der Wand zerdrьckt. Hier neben dem Anschlagzettel. Davon trдume ich immer. Hier, ein wenig ьber dem FuЯboden, ist er festgedrьckt, die Arme gestreckt, die Finger gespreizt, die krummen Beine zum Kreis gedreht, und ringsherum Blutspritzer. Bisher war es aber nur Traum.« »Eine andere Hilfe gibt es nicht?« fragte K. lдchelnd. »Ich wьЯte keine«, sagte der Gerichtsdiener. »Und jetzt wird es ja noch дrger, bisher hat er sie nur zu sich getragen, jetzt trдgt er sie, was ich allerdings lдngst erwartet habe, auch zum Untersuchungsrichter.« »Hat denn Ihre Frau gar keine Schuld dabei«, fragte K., er muЯte sich bei dieser Frage bezwingen, so sehr fьhlte auch er jetzt die Eifersucht. »Aber gewiЯ«, sagte der Gerichtsdiener, »sie hat sogar die grцЯte Schuld. Sie hat sich ja an ihn gehдngt. Was ihn betrifft, er lдuft allen Weibern nach. In diesem Hause allein ist er schon aus fьnf Wohnungen, in die er sich eingeschlichen hat, hinausgeworfen worden. Meine Frau ist allerdings die Schцnste im ganzen Haus, und gerade ich darf mich nicht wehren.« »Wenn es sich so verhдlt, dann gibt es allerdings keine Hilfe«, sagte K. »Warum denn nicht?« fragte der Gerichtsdiener. »Man mьЯte den Studenten, der ein Feigling ist, einmal, wenn er meine Frau anrьhren will, so durchprьgeln, daЯ er es niemals mehr wagt. Aber ich darf es nicht, und andere machen mir den Gefallen nicht, denn alle fьrchten seine Macht. Nur ein Mann wie Sie kцnnte es tun.« »Wieso denn ich?« fragte K. erstaunt. »Sie sind doch angeklagt«, sagte der Gerichtsdiener. »Ja«, sagte K. »aber desto mehr mьЯte ich doch fьrchten, daЯ er, wenn auch vielleicht nicht EinfluЯ auf den Ausgang des Prozesses, so doch wahrscheinlich auf die Voruntersuchung hat.« »Ja, gewiЯ«, sagte der Gerichtsdiener, als sei die Ansicht K.s genau so richtig wie seine eigene. »Es werden aber bei uns in der Regel keine aussichtslosen Prozesse gefьhrt.« »Ich bin nicht Ihrer Meinung«, sagte K., »das soll mich aber nicht hindern, gelegentlich den Studenten in Behandlung zu nehmen.« »Ich wдre Ihnen sehr dankbar«, sagte der Gerichtsdiener etwas fцrmlich, er schien eigentlich doch nicht an die Erfьllbarkeit seines hцchsten Wunsches zu glauben. »Es wьrden vielleicht«, fuhr K. fort, »auch noch andere Ihrer Beamten und vielleicht sogar alle das gleiche verdienen.« »Ja, ja«, sagte der Gerichtsdiener, als handle es sich um etwas Selbstverstдndliches. Dann sah er K. mit einem zutraulichen Blick an, wie er es bisher trotz aller Freundlichkeit nicht getan hatte, und fьgte hinzu: »Man rebelliert eben immer.« Aber das Gesprдch schien ihm doch ein wenig unbehaglich geworden zu sein, denn er brach es ab, indem er sagte: »Jetzt muЯ ich mich in der Kanzlei melden. Wollen Sie mitkommen?« »Ich habe dort nichts zu tun«, sagte K. »Sie kцnnen die Kanzleien ansehen. Es wird sich niemand um Sie kьmmern.« »Ist es denn sehenswert?« fragte K. zцgernd, hatte aber groЯe Lust, mitzugehen. »Nun«, sagte der Gerichtsdiener, »ich dachte, es wьrde Sie interessieren.« »Gut«, sagte K. schlieЯlich, »ich gehe mit.« Und er lief schneller als der Gerichtsdiener die Treppe hinauf.
Beim Eintritt wдre er fast hingefallen, denn hinter der Tьr war noch eine Stufe. »Auf das Publikum nimmt man nicht viel Rьcksicht«, sagte er. »Man nimmt ьberhaupt keine Rьcksicht«, sagte der Gerichtsdiener, »sehen Sie nur hier das Wartezimmer.« Es war ein langer Gang, von dem aus roh gezimmerte Tьren zu den einzelnen Abteilungen des Dachbodens fьhrten. Obwohl kein unmittelbarer Lichtzutritt bestand, war es doch nicht vollstдndig dunkel, denn manche Abteilungen hatten gegen den Gang zu statt einheitlicher Bretterwдnde bloЯe, allerdings bis zur Decke reichende Holzgitter, durch die einiges Licht drang und durch die man auch einzelne Beamte sehen konnte, wie sie an Tischen schrieben oder geradezu am Gitter standen und durch die Lьcken die Leute auf dem Gang beobachteten. Es waren, wahrscheinlich weil Sonntag war, nur wenig Leute auf dem Gang. Sie machten einen sehr bescheidenen Eindruck. In fast regelmдЯigen Entfernungen voneinander saЯen sie auf den zwei Reihen langer Holzbдnke, die zu beiden Seiten des Ganges angebracht waren. Alle waren vernachlдssigt angezogen, obwohl die meisten nach dem Gesichtsausdruck, der Haltung, der Barttracht und vielen, kaum sicherzustellenden kleinen Einzelheiten den hцheren Klassen angehцrten. Da keine Kleiderhaken vorhanden waren, hatten sie die Hьte, wahrscheinlich einer dem Beispiel des anderen folgend, unter die Bank gestellt. Als die, welche zunдchst der Tьr saЯen, K. und den Gerichtsdiener erblickten, erhoben sie sich zum GruЯ, da das die Folgenden sahen, glaubten sie auch grьЯen zu mьssen, so daЯ alle beim Vorbeigehen der beiden sich erhoben. Sie standen niemals vollstдndig aufrecht, der Rьcken war geneigt, die Knie geknickt, sie standen wie StraЯenbettler. K. wartete auf den ein wenig hinter ihm gehenden Gerichtsdiener und sagte: »Wie gedemьtigt die sein mьssen.« »Ja«, sagte der Gerichtsdiener, »es sind Angeklagte, alle, die Sie hier sehn, sind Angeklagte.« »Wirklich!« sagte K. »Dann sind es ja meine Kollegen.« Und er wandte sich an den nдchsten, einen groЯen, schlanken, schon fast grauhaarigen Mann. »Worauf warten Sie hier?« fragte K. hцflich. Die unerwartete Ansprache aber machte den Mann verwirrt, was um so peinlicher aussah, da es sich offenbar um einen welterfahrenen Menschen handelte, der anderswo gewiЯ sich zu beherrschen verstand und die Ьberlegenheit, die er sich ьber viele erworben hatte, nicht leicht aufgab. Hier aber wuЯte er auf eine so einfache Frage nicht zu antworten und sah auf die anderen hin, als seien sie verpflichtet, ihm zu helfen, und als kцnne niemand von ihm eine Antwort verlangen, wenn diese Hilfe ausbliebe. Da trat der Gerichtsdiener hinzu und sagte, um den Mann zu beruhigen und aufzumuntern: »Der Herr hier fragt ja nur, worauf Sie warten. Antworten Sie doch.« Die ihm wahrscheinlich bekannte Stimme des Gerichtsdieners wirkte besser: »Ich warte –« begann er und stockte. Offenbar hatte er diesen Anfang gewдhlt, um ganz genau auf die Fragestellung zu antworten, fand aber jetzt die Fortsetzung nicht. Einige der Wartenden hatten sich genдhert und umstanden die Gruppe, der Gerichtsdiener sagte zu ihnen: »Weg, weg, macht den Gang frei.« Sie wichen ein wenig zurьck, aber nicht bis zu ihren frьheren Sitzen. Inzwischen hatte sich der Gefragte gesammelt und antwortete sogar mit einem kleinen Lдcheln: »Ich habe vor einem Monat einige Beweisantrдge in meiner Sache gemacht und warte auf die Erledigung.« »Sie scheinen sich ja viele Mьhe zu geben«, sagte K. »Ja«, sagte der Mann, »es ist ja meine Sache.« »Jeder denkt nicht so wie Sie«, sagte K., »ich zum Beispiel bin auch angeklagt, habe aber, so wahr ich selig werden will, weder einen Beweisantrag gestellt, noch auch sonst irgend etwas Derartiges unternommen. Halten Sie denn das fьr nцtig?« »Ich weiЯ nicht genau«, sagte der Mann wieder in vollstдndiger Unsicherheit; er glaubte offenbar, K. mache mit ihm einen Scherz, deshalb hдtte er wahrscheinlich am liebsten, aus Furcht, irgendeinen neuen Fehler zu machen, seine frьhere Antwort ganz wiederholt, vor K.s ungeduldigem Blick aber sagte er nur: »Was mich betrifft, ich habe Beweisantrдge gestellt.« »Sie glauben wohl nicht, daЯ ich angeklagt bin?« fragte K. »O bitte, gewiЯ«, sagte der Mann, und trat ein wenig zur Seite, aber in der Antwort war nicht Glaube, sondern nur Angst. »Sie glauben mir also nicht?« fragte K. und faЯte ihn, unbewuЯt durch das demьtige Wesen des Mannes aufgefordert, beim Arm, als wolle er ihn zum Glauben zwingen. Aber er wollte ihm nicht Schmerz bereiten, hatte ihn auch nur ganz leicht angegriffen, trotzdem schrie der Mann auf, als habe K. ihn nicht mit zwei Fingern, sondern mit einer glьhenden Zange erfaЯt. Dieses lдcherliche Schreien machte ihn K. endgьltig ьberdrьssig; glaubte man ihm nicht, daЯ er angeklagt war, so war es desto besser; vielleicht hielt er ihn sogar fьr einen Richter. Und er faЯte ihn nun zum Abschied wirklich fester, stieЯ ihn auf die Bank zurьck und ging weiter. »Die meisten Angeklagten sind so empfindlich«, sagte der Gerichtsdiener. Hinter ihnen sammelten sich jetzt fast alle Wartenden um den Mann, der schon zu schreien aufgehцrt hatte, und schienen ihn ьber den Zwischenfall genau auszufragen. K. entgegen kam jetzt ein Wдchter, der hauptsдchlich an einem Sдbel kenntlich war, dessen Scheide, wenigstens der Farbe nach, aus Aluminium bestand. K. staunte darьber und griff sogar mit der Hand hin. Der Wдchter, der wegen des Schreiens gekommen war, fragte nach dem Vorgefallenen. Der Gerichtsdiener suchte ihn mit einigen Worten zu beruhigen, aber der Wдchter erklдrte, doch noch selbst nachsehen zu mьssen, salutierte und ging weiter mit sehr eiligen, aber sehr kurzen, wahrscheinlich durch Gicht abgemessenen Schritten.
K. kьmmerte sich nicht lange um ihn und die Gesellschaft auf dem Gang, besonders da er etwa in der Hдlfte des Ganges die Mцglichkeit sah, rechts durch eine tьrlose Цffnung einzubiegen. Er verstдndigte sich mit dem Gerichtsdiener darьber, ob das der richtige Weg sei, der Gerichtsdiener nickte, und K. bog nun wirklich dort ein. Es war ihm lдstig, daЯ er immer einen oder zwei Schritte vor dem Gerichtsdiener gehen muЯte, es konnte wenigstens an diesem Ort den Anschein haben, als ob er verhaftet vorgefьhrt werde. Er wartete also цfters auf den Gerichtsdiener, aber dieser blieb gleich wieder zurьck. SchlieЯlich sagte K., um seinem Unbehagen ein Ende zu machen: »Nun habe ich gesehen, wie es hier aussieht, ich will jetzt weggehen.« »Sie haben noch nicht alles gesehen«, sagte der Gerichtsdiener vollstдndig unverfдnglich. »Ich will nicht alles sehen«, sagte K., der sich ьbrigens wirklich mьde fьhlte, »ich will gehen, wie kommt man zum Ausgang?« »Sie haben sich doch nicht schon verirrt?« fragte der Gerichtsdiener erstaunt, »Sie gehen hier bis zur Ecke und dann rechts den Gang hinunter geradeaus zur Tьr.« »Kommen Sie mit«, sagte K., »zeigen Sie mir den Weg, ich werde ihn verfehlen, es sind hier so viele Wege.« »Es ist der einzige Weg«, sagte der Gerichtsdiener nun schon vorwurfsvoll, »ich kann nicht wieder mit Ihnen zurьckgehen, ich muЯ doch meine Meldung vorbringen und habe schon viel Zeit durch Sie versдumt.« »Kommen Sie mit!« wiederholte K. jetzt schдrfer, als habe er endlich den Gerichtsdiener auf einer Unwahrheit ertappt. »Schreien Sie doch nicht so«, flьsterte der Gerichtsdiener, »es sind ja hier ьberall Bьros. Wenn Sie nicht allein zurьckgehen wollen, so gehen Sie noch ein Stьckchen mit mir oder warten Sie hier, bis ich meine Meldung erledigt habe, dann will ich ja gern mit Ihnen wieder zurьckgehen.« »Nein, nein«, sagte K., »ich werde nicht warten, und Sie mьssen jetzt mit mir gehen.« K. hatte sich noch gar nicht in dem Raum umgesehen, in dem er sich befand, erst als jetzt eine der vielen Holztьren, die ringsherum standen, sich цffnete, blickte er hin. Ein Mдdchen, das wohl durch K.s lautes Sprechen herbeigerufen war, trat ein und fragte: »Was wьnscht der Herr?« Hinter ihr in der Ferne sah man im Halbdunkel noch einen Mann sich nдhern. K. blickte den Gerichtsdiener an. Dieser hatte doch gesagt, daЯ sich niemand um K. kьmmern werde, und nun kamen schon zwei, es brauchte nur wenig und die Beamtenschaft wurde auf ihn aufmerksam, wьrde eine Erklдrung seiner Anwesenheit haben wollen. Die einzig verstдndliche und annehmbare war die, daЯ er Angeklagter war und das Datum des nдchsten Verhцrs erfahren wollte, gerade diese Erklдrung aber wollte er nicht geben, besonders da sie auch nicht wahrheitsgemдЯ war, denn er war nur aus Neugierde gekommen oder, was als Erklдrung noch unmцglicher war, aus dem Verlangen, festzustellen, daЯ das Innere dieses Gerichtswesens ebenso widerlich war wie sein ДuЯeres. Und es schien ja, daЯ er mit dieser Annahme recht hatte, er wollte nicht weiter eindringen, er war beengt genug von dem, was er bisher gesehen hatte, er war gerade jetzt nicht in der Verfassung, einem hцheren Beamten gegenьberzutreten, wie er hinter jeder Tьr auftauchen konnte, er wollte weggehen, und zwar mit dem Gerichtsdiener oder allein, wenn es sein muЯte.
Aber sein stummes Dastehen muЯte auffallend sein, und wirklich sahen ihn das Mдdchen und der Gerichtsdiener derartig an, als ob in der nдchsten Minute irgendeine groЯe Verwandlung mit ihm geschehen mьsse, die sie zu beobachten nicht versдumen wollten. Und in der Tьrцffnung stand der Mann, den K. frьher in der Ferne bemerkt hatte, er hielt sich am Deckbalken der niedrigen Tьr fest und schaukelte ein wenig auf den FuЯspitzen, wie ein ungeduldiger Zuschauer. Das Mдdchen aber erkannte doch zuerst, daЯ das Benehmen K.s in einem leichten Unwohlsein seinen Grund hatte, sie brachte einen Sessel und fragte: »Wollen Sie sich nicht setzen?« K. setzte sich sofort und stьtzte, um noch besseren Halt zu bekommen, die Ellbogen auf die Lehnen. »Sie haben ein wenig Schwindel, nicht?« fragte sie ihn. Er hatte nun ihr Gesicht nahe vor sich, es hatte den strengen Ausdruck, wie ihn manche Frauen gerade in ihrer schцnsten Jugend haben. »Machen Sie sich darьber keine Gedanken«, sagte sie, »das ist hier nichts AuЯergewцhnliches, fast jeder bekommt einen solchen Anfall, wenn er zum erstenmal herkommt. Sie sind zum erstenmal hier? Nun ja, das ist also nichts AuЯergewцhnliches. Die Sonne brennt hier auf das Dachgerьst, und das heiЯe Holz macht die Luft so dumpf und schwer. Der Ort ist deshalb fьr Bьrorдumlichkeiten nicht sehr geeignet, so groЯe Vorteile er allerdings sonst bietet. Aber was die Luft betrifft, so ist sie an Tagen groЯen Parteienverkehrs, und das ist fast jeder Tag, kaum mehr atembar. Wenn Sie dann noch bedenken, daЯ hier auch vielfach Wдsche zum Trocknen ausgehдngt wird – man kann es den Mietern nicht gдnzlich untersagen –, so werden Sie sich nicht mehr wundern, daЯ Ihnen ein wenig ьbel wurde. Aber man gewцhnt sich schlieЯlich an die Luft sehr gut. Wenn Sie zum zweiten– oder drittenmal herkommen, werden Sie das Drьckende hier kaum mehr spьren. Fьhlen Sie sich schon besser?« K. antwortete nicht, es war ihm zu peinlich, durch diese plцtzliche Schwдche den Leuten hier ausgeliefert zu sein, ьberdies war ihm, da er jetzt die Ursachen seiner Ьbelkeit erfahren hatte, nicht besser, sondern noch ein wenig schlechter. Das Mдdchen merkte es gleich, nahm, um K. eine Erfrischung zu bereiten, eine Hakenstange, die an der Wand lehnte, und stieЯ damit eine kleine Luke auf, die gerade ьber K. angebracht war und ins Freie fьhrte. Aber es fiel so viel RuЯ herein, daЯ das Mдdchen die Luke gleich wieder zuziehen und mit ihrem Taschentuch die Hдnde K.s vom RuЯ reinigen muЯte, denn K. war zu mьde, um das selbst zu besorgen. Er wдre gern hier ruhig sitzengeblieben, bis er sich zum Weggehen genьgend gekrдftigt hatte, das muЯte aber um so frьher geschehen, je weniger man sich um ihn kьmmern wьrde. Nun sagte aber ьberdies das Mдdchen: »Hier kцnnen Sie nicht bleiben, hier stцren wir den Verkehr –« K. fragte mit den Blicken, welchen Verkehr er denn hier stцre – »Ich werde Sie, wenn Sie wollen, ins Krankenzimmer fьhren. Helfen Sie mir, bitte«, sagte sie zu dem Mann in der Tьr, der auch gleich nдher kam. Aber K. wollte nicht ins Krankenzimmer, gerade das wollte er ja vermeiden, weiter gefьhrt zu werden, je weiter er kam, desto дrger muЯte es werden. Ich kann schon gehen«, sagte er deshalb und stand, durch das bequeme Sitzen verwцhnt, zitternd auf. Dann aber konnte er sich nicht aufrecht halten. »Es geht doch nicht«, sagte er kopfschьttelnd und setzte sich seufzend wieder nieder. Er erinnerte sich an den Gerichtsdiener, der ihn trotz allem leicht hinausfьhren kцnnte, aber der schien schon lдngst weg zu sein, K. sah zwischen dem Mдdchen und dem Mann, die vor ihm standen, hindurch, konnte aber den Gerichtsdiener nicht finden.
»Ich glaube«, sagte der Mann, der ьbrigens elegant gekleidet war und besonders durch eine graue Weste auffiel, die in zwei langen, scharfgeschnittenen Spitzen endigte, »das Unwohlsein des Herrn geht auf die Atmosphдre hier zurьck, es wird daher am besten und auch ihm am liebsten sein, wenn wir ihn nicht erst ins Krankenzimmer, sondern ьberhaupt aus den Kanzleien hinausfьhren.« »Das ist es«, rief K. und fuhr vor lauter Freude fast noch in die Rede des Mannes hinein, »mir wird gewiЯ sofort besser werden, ich bin auch gar nicht so schwach, nur ein wenig Unterstьtzung unter den Achseln brauche ich, ich werde Ihnen nicht viel Mьhe machen, es ist ja auch kein langer Weg, fьhren Sie mich nur zur Tьr, ich setze mich dann noch ein wenig auf die Stufen und werde gleich erholt sein, ich leide nдmlich gar nicht unter solchen Anfдllen, es kommt mir selbst ьberraschend. Ich bin doch auch Beamter und an Bьroluft gewцhnt, aber hier scheint es doch zu arg, Sie sagen es selbst. Wollen Sie also die Freundlichkeit haben, mich ein wenig zu fьhren, ich habe nдmlich Schwindel, und es wird mir schlecht, wenn ich allein aufstehe.« Und er hob die Schultern, um es den beiden zu erleichtern, ihm unter die Arme zu greifen.
Aber der Mann folgte der Aufforderung nicht, sondern hielt die Hдnde ruhig in den Hosentaschen und lachte laut. »Sehen Sie«, sagte er zu dem Mдdchen, »ich habe also doch das Richtige getroffen. Dem Herrn ist nur hier nicht wohl, nicht im allgemeinen.« Das Mдdchen lдchelte auch, schlug aber dem Mann leicht mit den Fingerspitzen auf den Arm, als hдtte er sich mit K. einen zu starken SpaЯ erlaubt. »Aber was denken Sie denn«, sagte der Mann noch immer lachend, »ich will ja den Herrn wirklich hinausfьhren.« »Dann ist es gut«, sagte das Mдdchen, indem sie ihren zierlichen Kopf fьr einen Augenblick neigte. »Messen Sie dem Lachen nicht zuviel Bedeutung zu«, sagte das Mдdchen zu K., der, wieder traurig geworden, vor sich hinstarrte und keine Erklдrung zu brauchen schien, »dieser Herr – ich darf Sie doch vorstellen?« (der Herr gab mit einer Handbewegung die Erlaubnis) – »dieser Herr also ist der Auskunftgeber. Er gibt den wartenden Parteien alle Auskunft, die sie brauchen, und da unser Gerichtswesen in der Bevцlkerung nicht sehr bekannt ist, werden viele Auskьnfte verlangt. Er weiЯ auf alle Fragen eine Antwort, Sie kцnnen ihn, wenn Sie einmal Lust dazu haben, daraufhin erproben. Das ist aber nicht sein einziger Vorzug, sein zweiter Vorzug ist die elegante Kleidung. Wir, das heiЯt die Beamtenschaft, meinten einmal, man mьsse den Auskunftgeber, der immerfort, und zwar als erster, mit Parteien verhandelt, des wьrdigen ersten Eindrucks halber, auch elegant anziehen. Wir anderen sind, wie Sie gleich an mir sehen kцnnen, leider sehr schlecht und altmodisch angezogen; es hat auch nicht viel Sinn, fьr die Kleidung etwas zu verwenden, da wir fast unaufhцrlich in den Kanzleien sind, wir schlafen ja auch hier. Aber, wie gesagt, fьr den Auskunftgeber hielten wir einmal schцne Kleidung fьr nцtig. Da sie aber von unserer Verwaltung, die in dieser Hinsicht etwas sonderbar ist, nicht erhдltlich war, machten wir eine Sammlung – auch Parteien steuerten bei – und wir kauften ihm dieses schцne Kleid und noch andere. Alles wдre jetzt vorbereitet, einen guten Eindruck zu machen, aber durch sein Lachen verdirbt er es wieder und erschreckt die Leute.« »So ist es«, sagte der Herr spцttisch, »aber ich verstehe nicht, Frдulein, warum Sie dem Herrn alle unsere Intimitдten erzдhlen oder besser, aufdrдngen, denn er will sie ja gar nicht erfahren. Sehen Sie nur, wie er, offenbar mit seinen eigenen Angelegenheiten beschдftigt, dasitzt.« K. hatte nicht einmal Lust, zu widersprechen, die Absicht des Mдdchens mochte eine gute sein, sie war vielleicht darauf gerichtet, ihn zu zerstreuen oder ihm die Mцglichkeit zu geben, sich zu sammeln, aber das Mittel war verfehlt. »Ich muЯte ihm Ihr Lachen erklдren«, sagte das Mдdchen. »Es war ja beleidigend.« »Ich glaube, er wьrde noch дrgere Beleidigungen verzeihen, wenn ich ihn schlieЯlich hinausfьhre.« K. sagte nichts, sah nicht einmal auf, er duldete es, daЯ die zwei ьber ihn wie ьber eine Sache verhandelten, es war ihm sogar am liebsten. Aber plцtzlich fьhlte er die Hand des Auskunftgebers an einem Arm und die Hand des Mдdchens am anderen. »Also auf, Sie schwacher Mann«, sagte der Auskunftgeber. »Ich danke Ihnen beiden vielmals«, sagte K., freudig ьberrascht, erhob sich langsam und fьhrte selbst die fremden Hдnde an die Stellen, an denen er die Stьtze am meisten brauchte. »Es sieht so aus«, sagte das Mдdchen leise in K.s Ohr, wдhrend sie sich dem Gang nдherten, »als ob mir besonders viel daran gelegen wдre, den Auskunftgeber in ein gutes Licht zu stellen, aber man mag es glauben, ich will doch die Wahrheit sagen. Er hat kein hartes Herz. Er ist nicht verpflichtet, kranke Parteien hinauszufьhren, und tut es doch, wie Sie sehen. Vielleicht ist niemand von uns hartherzig, wir wollten vielleicht alle gern helfen, aber als Gerichtsbeamte bekommen wir leicht den Anschein, als ob wir hartherzig wдren und niemandem helfen wollten. Ich leide geradezu darunter.« »Wollen Sie sich nicht hier ein wenig setzen?« fragte der Auskunftgeber, sie waren schon im Gang und gerade vor dem Angeklagten, den K. frьher angesprochen hatte. K. schдmte sich fast vor ihm, frьher war er so aufrecht vor ihm gestanden, jetzt muЯten ihn zwei stьtzen, seinen Hut balancierte der Auskunftgeber auf den gespreizten Fingern, die Frisur war zerstцrt, die Haare hingen ihm in die schweiЯbedeckte Stirn. Aber der Angeklagte schien nichts davon zu bemerken, demьtig stand er vor dem Auskunftgeber, der ьber ihn hinwegsah, und suchte nur seine Anwesenheit zu entschuldigen. »Ich weiЯ«, sagte er, »daЯ die Erledigung meiner Antrдge heute noch nicht gegeben werden kann. Ich bin aber doch gekommen, ich dachte, ich kцnnte doch hier warten, es ist Sonntag, ich habe ja Zeit und hier stцre ich nicht.« »Sie mьssen das nicht so sehr entschuldigen«, sagte der Auskunftgeber, »Ihre Sorgsamkeit ist ja ganz lobenswert, Sie nehmen hier zwar unnцtigerweise den Platz weg, aber ich will Sie trotzdem, solange es mir nicht lдstig wird, durchaus nicht hindern, den Gang Ihrer Angelegenheit genau zu verfolgen. Wenn man Leute gesehen hat, die ihre Pflicht schдndlich vernachlдssigten, lernt man es, mit Leuten, wie Sie sind, Geduld zu haben. Setzen Sie sich.« »Wie er mit den Parteien zu reden versteht«, flьsterte das Mдdchen. K. nickte, fuhr aber gleich auf, als ihn der Auskunftgeber wieder fragte: »Wollen Sie sich nicht hier niedersetzen?« »Nein«, sagte K., »ich will mich nicht ausruhen.« Er hatte das mit mцglichster Bestimmtheit gesagt, in Wirklichkeit hдtte es ihm sehr wohlgetan, sich niederzusetzen. Er war wie seekrank. Er glaubte auf einem Schiff zu sein, das sich in schwerem Seegang befand. Es war ihm, als stьrze das Wasser gegen die Holzwдnde, als komme aus der Tiefe des Ganges ein Brausen her, wie von ьberschlagendem Wasser, als schaukle der Gang in der Quere und als wьrden die wartenden Parteien zu beiden Seiten gesenkt und gehoben. Desto unbegreiflicher war die Ruhe des Mдdchens und des Mannes, die ihn fьhrten. Er war ihnen ausgeliefert, lieЯen sie ihn los, so muЯte er hinfallen wie ein Brett. Aus ihren kleinen Augen gingen scharfe Blicke hin und her, ihre gleichmдЯigen Schritte fьhlte K., ohne sie mitzumachen, denn er wurde fast von Schritt zu Schritt getragen. Endlich merkte er, daЯ sie zu ihm sprachen, aber er verstand sie nicht, er hцrte nur den Lдrm, der alles erfьllte und durch den hindurch ein unverдnderlicher hoher Ton, wie von einer Sirene, zu klingen schien. »Lauter«, flьsterte er mit gesenktem Kopf und schдmte sich, denn er wuЯte, daЯ sie laut genug, wenn auch fьr ihn unverstдndlich, gesprochen hatten. Da kam endlich, als wдre die Wand vor ihm durchrissen, ein frischer Luftzug ihm entgegen, und er hцrte neben sich sagen: »Zuerst will er weg, dann aber kann man ihm hundertmal sagen, daЯ hier der Ausgang ist, und er rьhrt sich nicht.« K. merkte, daЯ er vor der Ausgangstьr stand, die das Mдdchen geцffnet hatte. Ihm war, als wдren alle seine Krдfte mit einemmal zurьckgekehrt, um einen Vorgeschmack der Freiheit zu gewinnen, trat er gleich auf eine Treppenstufe und verabschiedete sich von dort aus von seinen Begleitern, die sich zu ihm hinabbeugten. »Vielen Dank«, wiederholte er, drьckte beiden wiederholt die Hдnde und lieЯ erst ab, als er zu sehen glaubte, daЯ sie, an die Kanzleiluft gewцhnt, die verhдltnismдЯig frische Luft, die von der Treppe kam, schlecht ertrugen. Sie konnten kaum antworten, und das Mдdchen wдre vielleicht abgestьrzt, wenn nicht K. дuЯerst schnell die Tьr geschlossen hдtte. K. stand dann noch einen Augenblick still, strich sich mit Hilfe eines Taschenspiegels das Haar zurecht, hob seinen Hut auf, der auf dem nдchsten Treppenabsatz lag – der Auskunftgeber hatte ihn wohl hingeworfen – und lief dann die Treppe hinunter, so frisch und in so langen Sprьngen, daЯ er vor diesem Umschwung fast Angst bekam. Solche Ьberraschungen hatte ihm sein sonst ganz gefestigter Gesundheitszustand noch nie bereitet. Wollte etwa sein Kцrper revolutionieren und ihm einen neuen ProzeЯ bereiten, da er den alten so mьhelos ertrug? Er lehnte den Gedanken nicht ganz ab, bei nдchster Gelegenheit zu einem Arzt zu gehen, jedenfalls aber wollte er – darin konnte er sich selbst beraten – alle kьnftigen Sonntagvormittage besser als diesen verwenden.

Viertes Kapitel Die Freundin des Frдulein Bьrstner

In der nдchsten Zeit war es K. unmцglich, mit Frдulein Bьrstner auch nur wenige Worte zu sprechen. Er versuchte auf die verschiedenste Weise, an sie heranzukommen, sie aber wuЯte es immer zu verhindern. Er kam gleich nach dem Bьro nach Hause, blieb in seinem Zimmer, ohne das Licht anzudrehen, auf dem Kanapee sitzen und beschдftigte sich mit nichts anderem, als das Vorzimmer zu beobachten. Ging etwa das Dienstmдdchen vorbei und schloЯ die Tьr des scheinbar leeren Zimmers, so stand er nach einem Weilchen auf und цffnete sie wieder. Des Morgens stand er um eine Stunde frьher auf als sonst, um vielleicht Frдulein Bьrstner allein treffen zu kцnnen, wenn sie ins Bьro ging. Aber keiner dieser Versuche gelang. Dann schrieb er ihr einen Brief sowohl ins Bьro als auch in die Wohnung, suchte darin nochmals sein Verhalten zu rechtfertigen, bot sich zu jeder Genugtuung an, versprach, niemals die Grenzen zu ьberschreiten, die sie ihm setzen wьrde, und bat nur, ihm die Mцglichkeit zu geben, einmal mir ihr zu sprechen, besonders da er auch bei Frau Grubach nichts veranlassen kцnnte, solange er sich nicht vorher mit ihr beraten habe, schlieЯlich teilte er ihr mit, daЯ er den nдchsten Sonntag wдhrend des ganzen Tages in seinem Zimmer auf ein Zeichen von ihr warten werde, das ihm die Erfьllung seiner Bitte in Aussicht stellen oder das ihm wenigstens erklдren solle, warum sie die Bitte nicht erfьllen kцnne, obwohl er doch versprochen habe, sich in allem ihr zu fьgen. Die Briefe kamen nicht zurьck, aber es erfolgte auch keine Antwort. Dagegen gab es Sonntag ein Zeichen, dessen Deutlichkeit genьgend war. Gleich frьh bemerkte K. durch das Schlьsselloch eine besondere Bewegung im Vorzimmer, die sich bald aufklдrte. Eine Lehrerin des Franzцsischen, sie war ьbrigens eine Deutsche und hieЯ Montag, ein schwaches, blasses, ein wenig hinkendes Mдdchen, das bisher ein eigenes Zimmer bewohnt hatte, ьbersiedelte in das Zimmer des Frдulein Bьrstner. Stundenlang sah man sie durch das Vorzimmer schlьrfen. Immer war noch ein Wдschestьck oder ein Deckchen oder ein Buch vergessen, das besonders geholt und in die neue Wohnung hinьbergetragen werden muЯte.
Als Frau Grubach K. das Frьhstьck brachte – sie ьberlieЯ, seitdem sie K. so erzьrnt hatte, auch nicht die geringste Bedienung dem Dienstmдdchen –, konnte sich K. nicht zurьckhalten, sie zum erstenmal seit fьnf Tagen anzusprechen. »Warum ist denn heute ein solcher Lдrm im Vorzimmer?« fragte er, wдhrend er den Kaffee eingoЯ, »kцnnte das nicht eingestellt werden? MuЯ denn gerade am Sonntag aufgerдumt werden?« Obwohl K. nicht zu Frau Grubach aufsah, bemerkte er doch, daЯ sie, wie erleichtert, aufatmete. Selbst diese strengen Fragen K.s faЯte sie als Verzeihung oder als Beginn der Verzeihung auf. »Es wird nicht aufgerдumt, Herr K.«, sagte sie, »Frдulein Montag ьbersiedelt nur zu Frдulein Bьrstner und schafft ihre Sachen hinьber.« Sie sagte nichts weiter, sondern wartete, wie K. es aufnehmen und ob er ihr gestatten wьrde, weiterzureden. K. stellte sie aber auf die Probe, rьhrte nachdenklich den Kaffee mit dem Lцffel und schwieg. Dann sah er zu ihr auf und sagte: »Haben Sie schon Ihren frьheren Verdacht wegen Frдulein Bьrstner aufgegeben?
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