А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

Den steifen, die Hдnde schwingenden Rabensteiner, den blonden Kullich mit den tiefliegenden Augen und Kaminer mit dem unausstehlichen, durch eine chronische Muskelzerrung bewirkten Lдcheln. »Guten Morgen«, sagte K. nach einem Weilchen und reichte den sich korrekt verbeugenden Herren die Hand. »Ich habe Sie gar nicht erkannt. Nun werden wir also an die Arbeit gehen, nicht?« Die Herren nickten lachend und eifrig, als hдtten sie die ganze Zeit ьber darauf gewartet, nur als K. seinen Hut vermiЯte, der in seinem Zimmer liegengeblieben war, liefen sie sдmtlich hintereinander, ihn holen, was immerhin auf eine gewisse Verlegenheit schlieЯen lieЯ. K. stand still und sah ihnen durch die zwei offenen Tьren nach, der letzte war natьrlich der gleichgьltige Rabensteiner, der bloЯ einen eleganten Trab angeschlagen hatte. Kaminer ьberreichte den Hut, und K. muЯte sich, wie dies ьbrigens auch цfters in der Bank nцtig war, ausdrьcklich sagen, daЯ Kaminers Lдcheln nicht Absicht war, ja daЯ er ьberhaupt absichtlich nicht lдcheln konnte. Im Vorzimmer цffnete dann Frau Grubach, die gar nicht sehr schuldbewuЯt aussah, der ganzen Gesellschaft die Wohnungstьr, und K. sah, wie so oft, auf ihr Schьrzenband nieder, das so unnцtig tief in ihren mдchtigen Leib einschnitt. Unten entschloЯ sich K., die Uhr in der Hand, ein Automobil zu nehmen, um die schon halbstьndige Verspдtung nicht unnцtig zu vergrцЯern. Kaminer lief zur Ecke, um den Wagen zu holen, die zwei anderen versuchten offensichtlich, K. zu zerstreuen, als plцtzlich Kullich auf das gegenьberliegende Haustor zeigte, in dem eben der groЯe Mann mit dem blonden Spitzbart erschien und, im ersten Augenblick ein wenig verlegen darьber, daЯ er sich jetzt in seiner ganzen GrцЯe zeigte, zur Wand zurьcktrat und sich anlehnte. Die Alten waren wohl noch auf der Treppe. K. дrgerte sich ьber Kullich, daЯ dieser auf den Mann aufmerksam machte, den er selbst schon frьher gesehen, ja den er sogar erwartet hatte. »Schauen Sie nicht hin!« stieЯ er hervor, ohne zu bemerken, wie auffallend eine solche Redeweise gegenьber selbstдndigen Mдnnern war. Es war aber auch keine Erklдrung nцtig, denn gerade kam das Automobil, man setzte sich und fuhr los. Da erinnerte sich K., daЯ er das Weggehen des Aufsehers und der Wдchter gar nicht bemerkt hatte, der Aufseher hatte ihm die drei Beamten verdeckt und nun wieder die Beamten den Aufseher. Viel Geistesgegenwart bewies das nicht, und K. nahm sich vor, sich in dieser Hinsicht genauer zu beobachten. Doch drehte er sich noch unwillkьrlich um und beugte sich ьber das Hinterdeck des Automobils vor, um mцglicherweise den Aufseher und die Wдchter noch zu sehen. Aber gleich wendete er sich wieder zurьck und lehnte sich bequem in die Wagenecke, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, jemanden zu suchen. Obwohl es nicht den Anschein hatte, hдtte er gerade jetzt Zuspruch nцtig gehabt, aber nun schienen die Herren ermьdet, Rabensteiner sah rechts aus dem Wagen, Kullich links, und nur Kaminer stand mit seinem Grinsen zur Verfьgung, ьber das einen SpaЯ zu machen leider die Menschlichkeit verbot.
In diesem Frьhjahr pflegte K. die Abende in der Weise zu verbringen, daЯ er nach der Arbeit, wenn dies noch mцglich war – er saЯ meistens bis neun Uhr im Bьro –, einen kleinen Spaziergang allein oder mit Beamten machte und dann in eine Bierstube ging, wo er an einem Stammtisch mit meist дlteren Herren gewцhnlich bis elf Uhr beisammensaЯ. Es gab aber auch Ausnahmen von dieser Einteilung, wenn K. zum Beispiel vom Bankdirektor, der seine Arbeitskraft und Vertrauenswьrdigkeit sehr schдtzte, zu einer Autofahrt oder zu einem Abendessen in seiner Villa eingeladen wurde. AuЯerdem ging K. einmal in der Woche zu einem Mдdchen namens Elsa, die wдhrend der Nacht bis in den spдten Morgen als Kellnerin in einer Weinstube bediente und wдhrend des Tages nur vom Bett aus Besuche empfing.
An diesem Abend aber – der Tag war unter angestrengter Arbeit und vielen ehrenden und freundschaftlichen Geburtstagswьnschen schnell verlaufen – wollte K. sofort nach Hause gehen. In allen kleinen Pausen der Tagesarbeit hatte er daran gedacht; ohne genau zu wissen, was er meinte, schien es ihm, als ob durch die Vorfдlle des Morgens eine groЯe Unordnung in der ganzen Wohnung der Frau Grubach verursacht worden sei und daЯ gerade er nцtig sei, um die Ordnung wiederherzustellen. War aber einmal diese Ordnung hergestellt, dann war jede Spur jener Vorfдlle ausgelцscht und alles nahm seinen alten Gang wieder auf. Insbesondere von den drei Beamten war nichts zu befьrchten, sie waren wieder in die groЯe Beamtenschaft der Bank versenkt, es war keine Verдnderung an ihnen zu bemerken. K. hatte sie цfters einzeln und gemeinsam in sein Bьro berufen, zu keinem andern Zweck, als um sie zu beobachten; immer hatte er sie befriedigt entlassen kцnnen. Als er um halb zehn Uhr abends vor dem Hause, in dem er wohnte, ankam, traf er im Haustor einen jungen Burschen, der dort breitbeinig stand und eine Pfeife rauchte. »Wer sind Sie?« fragte K. sofort und brachte sein Gesicht nahe an den Burschen, man sah nicht viel im Halbdunkel des Flurs. »Ich bin der Sohn des Hausmeisters, gnдdiger Herr«, antwortete der Bursche, nahm die Pfeife aus dem Mund und trat zur Seite. »Der Sohn des Hausmeisters?« fragte K. und klopfte mit seinem Stock ungeduldig den Boden. »Wьnscht der gnдdige Herr etwas? Soll ich den Vater holen?« »Nein, nein«, sagte K., in seiner Stimme lag etwas Verzeihendes, als habe der Bursche etwas Bцses ausgefьhrt, er aber verzeihe ihm. »Es ist gut«, sagte er dann und ging weiter, aber ehe er die Treppe hinaufstieg, drehte er sich noch einmal um.
Er hдtte geradewegs in sein Zimmer gehen kцnnen, aber da er mit Frau Grubach sprechen wollte, klopfte er gleich an ihre Tьr an. Sie saЯ mit einem Strickstrumpf am Tisch, auf dem noch ein Haufen alter Strьmpfe lag. K. entschuldigte sich zerstreut, daЯ er so spдt komme, aber Frau Grubach war sehr freundlich und wollte keine Entschuldigung hцren, fьr ihn sei sie immer zu sprechen, er wisse sehr gut, daЯ er ihr bester und liebster Mieter sei. K. sah sich im Zimmer um, es war wieder vollkommen in seinem alten Zustand, das Frьhstьcksgeschirr, das frьh auf dem Tischchen beim Fenster gestanden hatte, war auch schon weggerдumt. »Frauenhдnde bringen doch im stillen viel fertig«, dachte er, er hдtte das Geschirr vielleicht auf der Stelle zerschlagen, aber gewiЯ nicht hinaustragen kцnnen. Er sah Frau Grubach mit einer gewissen Dankbarkeit an. »Warum arbeiten Sie noch so spдt?« fragte er. Sie saЯen nun beide am Tisch, und K. vergrub von Zeit zu Zeit seine Hand in die Strьmpfe. »Es gibt viel Arbeit«, sagte sie, »wдhrend des Tages gehцre ich den Mietern; wenn ich meine Sachen in Ordnung bringen will, bleiben mir nur die Abende.« »Ich habe Ihnen heute wohl noch eine auЯergewцhnliche Arbeit gemacht?« »Wieso denn?« fragte sie, etwas eifriger werdend, die Arbeit ruhte in ihrem SchoЯe. »Ich meine die Mдnner, die heute frьh hier waren.« »Ach so«, sagte sie und kehrte wieder in ihre Ruhe zurьck, »das hat mir keine besondere Arbeit gemacht.« K. sah schweigend zu, wie sie den Strickstrumpf wieder vornahm. Sie scheint sich zu wundern, daЯ ich davon spreche, dachte er, sie scheint es nicht fьr richtig zu halten, daЯ ich davon spreche. Desto wichtiger ist es, daЯ ich es tue. Nur mit einer alten Frau kann ich davon sprechen. »Doch, Arbeit hat es gewiЯ gemacht«, sagte er dann, »aber es wird nicht wieder vorkommen.« »Nein, das kann nicht wieder vorkommen«, sagte sie bekrдftigend und lдchelte K. fast wehmьtig an. »Meinen Sie das ernstlich?« fragte K. »Ja«, sagte sie leiser, »aber vor allem dьrfen Sie es nicht zu schwer nehmen. Was geschieht nicht alles in der Welt! Da Sie so vertraulich mit mir reden, Herr K., kann ich Ihnen ja eingestehen, daЯ ich ein wenig hinter der Tьr gehorcht habe und daЯ mir auch die beiden Wдchter einiges erzдhlt haben. Es handelt sich ja um Ihr Glьck und das liegt mir wirklich am Herzen, mehr als mir vielleicht zusteht, denn ich bin ja bloЯ die Vermieterin. Nun, ich habe also einiges gehцrt, aber ich kann nicht sagen, daЯ es etwas besonders Schlimmes war. Nein. Sie sind zwar verhaftet, aber nicht so wie ein Dieb verhaftet wird. Wenn man wie ein Dieb verhaftet wird, so ist es schlimm, aber diese Verhaftung –. Es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, entschuldigen Sie, wenn ich etwas Dummes sage, es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, das ich zwar nicht verstehe, das man aber auch nicht verstehen muЯ.«
»Es ist gar nichts Dummes, was Sie gesagt haben, Frau Grubach, wenigstens bin auch ich zum Teil Ihrer Meinung, nur urteile ich ьber das Ganze noch schдrfer als Sie und halte es einfach nicht einmal fьr etwas Gelehrtes, sondern ьberhaupt fьr nichts. Ich wurde ьberrumpelt, das war es. Wдre ich gleich nach dem Erwachen, ohne mich durch das Ausbleiben der Anna beirren zu lassen, aufgestanden und ohne Rьcksicht auf irgend jemand, der mir in den Weg getreten wдre, zu Ihnen gegangen, hдtte ich diesmal ausnahmsweise etwa in der Kьche gefrьhstьckt, hдtte mir von Ihnen die Kleidungsstьcke aus meinem Zimmer bringen lassen, kurz, hдtte ich vernьnftig gehandelt, so wдre nichts weiter geschehen, es wдre alles, was werden wollte, erstickt worden. Man ist aber so wenig vorbereitet. In der Bank zum Beispiel bin ich vorbereitet, dort kцnnte mir etwas Derartiges unmцglich geschehen, ich habe dort einen eigenen Diener, das allgemeine Telephon und das Bьrotelephon stehen vor mir auf dem Tisch, immerfort kommen Leute, Parteien und Beamte, auЯerdem aber und vor allem bin ich dort immerfort im Zusammenhang der Arbeit, daher geistesgegenwдrtig, es wьrde mir geradezu ein Vergnьgen machen, dort einer solchen Sache gegenьbergestellt zu werden. Nun, es ist vorьber und ich wollte eigentlich auch gar nicht mehr darьber sprechen, nur Ihr Urteil, das Urteil einer vernьnftigen Frau, wollte ich hцren und bin sehr froh, daЯ wir darin ьbereinstimmen. Nun mьssen Sie mir die Hand reichen, eine solche Ьbereinstimmung muЯ durch Handschlag bekrдftigt werden.«
Ob sie mir die Hand reichen wird? Der Aufseher hat mir die Hand nicht gereicht, dachte er und sah die Frau anders als frьher, prьfend an. Sie stand auf, weil auch er aufgestanden war, sie war ein wenig befangen, weil ihr nicht alles, was K. gesagt hatte, verstдndlich gewesen war. Infolge dieser Befangenheit sagte sie aber etwas, was sie gar nicht wollte und was auch gar nicht am Platze war: »Nehmen Sie es doch nicht so schwer, Herr K.«, sagte sie, hatte Trдnen in der Stimme und vergaЯ natьrlich auch den Handschlag. »Ich wьЯte nicht, daЯ ich es schwer nehme«, sagte K., plцtzlich ermьdet und das Wertlose aller Zustimmungen dieser Frau einsehend.
Bei der Tьr fragte er noch: »Ist Frдulein Bьrstner zu Hause?« »Nein«, sagte Frau Grubach und lдchelte bei dieser trockenen Auskunft mit einer verspдteten vernьnftigen Teilnahme. »Sie ist im Theater. Wollten Sie etwas von ihr? Soll ich ihr etwas ausrichten?« »Ach, ich wollte nur ein paar Worte mit ihr reden.« »Ich weiЯ leider nicht, wann sie kommt; wenn sie im Theater ist, kommt sie gewцhnlich spдt.« »Das ist ja ganz gleichgьltig«, sagte K. und drehte schon den gesenkten Kopf der Tьr zu, um wegzugehen, »ich wollte mich nur bei ihr entschuldigen, daЯ ich heute ihr Zimmer in Anspruch genommen habe.« »Das ist nicht nцtig, Herr K., Sie sind zu rьcksichtsvoll, das Frдulein weiЯ ja von gar nichts, sie war seit dem frьhen Morgen noch nicht zu Hause, es ist auch schon alles in Ordnung gebracht, sehen Sie selbst.« Und sie цffnete die Tьr zu Frдulein Bьrstners Zimmer. »Danke, ich glaube es«, sagte K., ging dann aber doch zu der offenen Tьr. Der Mond schien still in das dunkle Zimmer. Soviel man sehen konnte, war wirklich alles an seinem Platz, auch die Bluse hing nicht mehr an der Fensterklinke. Auffallend hoch schienen die Polster im Bett, sie lagen zum Teil im Mondlicht. »Das Frдulein kommt oft spдt nach Hause«, sagte K. und sah Frau Grubach an, als trage sie die Verantwortung dafьr. »Wie eben junge Leute sind!« sagte Frau Grubach entschuldigend. »GewiЯ, gewiЯ«, sagte K., »es kann aber zu weit gehen.« »Das kann es«, sagte Frau Grubach, »wie sehr haben Sie recht, Herr K. Vielleicht sogar in diesem Fall. Ich will Frдulein Bьrstner gewiЯ nicht verleumden, sie ist ein gutes, liebes Mдdchen, freundlich, ordentlich, pьnktlich, arbeitsam, ich schдtze das alles sehr, aber eines ist wahr, sie sollte stolzer, zurьckhaltender sein. Ich habe sie in diesem Monat schon zweimal in entlegenen StraЯen und immer mit einem andern Herrn gesehen. Es ist mir sehr peinlich, ich erzдhle es, beim wahrhaftigen Gott, nur Ihnen, Herr K., aber es wird sich nicht vermeiden lassen, daЯ ich auch mit dem Frдulein selbst darьber spreche. Es ist ьbrigens nicht das Einzige, das sie mir verdдchtig macht.« »Sie sind auf ganz falschem Weg«, sagte K. wьtend und fast unfдhig, es zu verbergen, »ьbrigens haben Sie offenbar auch meine Bemerkung ьber das Frдulein miЯverstanden, so war es nicht gemeint. Ich warne Sie sogar aufrichtig, dem Frдulein irgend etwas zu sagen, Sie sind durchaus im Irrtum, ich kenne das Frдulein sehr gut, es ist nichts davon wahr, was Sie sagten. Ьbrigens, vielleicht gehe ich zu weit, ich will Sie nicht hindern, sagen Sie ihr, was Sie wollen. Gute Nacht.« »Herr K.«, sagte Frau Grubach bittend und eilte K. bis zu seiner Tьr nach, die er schon geцffnet hatte, »ich will ja noch gar nicht mit dem Frдulein reden, natьrlich will ich sie vorher noch weiter beobachten, nur Ihnen habe ich anvertraut, was ich wuЯte. SchlieЯlich muЯ es doch im Sinne jedes Mieters sein, wenn man die Pension rein zu erhalten sucht, und nichts anderes ist mein Bestreben dabei.« »Die Reinheit!« rief K. noch durch die Spalte der Tьr, »wenn Sie die Pension rein erhalten wollen, mьssen Sie zuerst mir kьndigen.« Dann schlug er die Tьr zu, ein leises Klopfen beachtete er nicht mehr.
Dagegen beschloЯ er, da er gar keine Lust zum Schlafen hatte, noch wachzubleiben und bei dieser Gelegenheit auch festzustellen, wann Frдulein Bьrstner kommen wьrde. Vielleicht wдre es dann auch mцglich, so unpassend es sein mochte, noch ein paar Worte mir ihr zu reden. Als er im Fenster lag und die mьden Augen drьckte, dachte er einen Augenblick sogar daran, Frau Grubach zu bestrafen und Frдulein Bьrstner zu ьberreden, gemeinsam mit ihm zu kьndigen. Sofort aber erschien ihm das entsetzlich ьbertrieben, und er hatte sogar den Verdacht gegen sich, daЯ er darauf ausging, die Wohnung wegen der Vorfдlle am Morgen zu wechseln. Nichts wдre unsinniger und vor allem zweckloser und verдchtlicher gewesen. Als er des Hinausschauens auf die leere StraЯe ьberdrьssig geworden war, legte er sich auf das Kanapee, nachdem er die Tьr zum Vorzimmer ein wenig geцffnet hatte, um jeden, der die Wohnung betrat, gleich vom Kanapee aus sehen zu kцnnen. Etwa bis elf Uhr lag er ruhig, eine Zigarre rauchend, auf dem Kanapee. Von da ab hielt er es aber nicht mehr dort aus, sondern ging ein wenig ins Vorzimmer, als kцnne er dadurch die Ankunft des Frдulein Bьrstner beschleunigen. Er hatte kein besonderes Verlangen nach ihr, er konnte sich nicht einmal genau erinnern, wie sie aussah, aber nun wollte er mit ihr reden und es reizte ihn, daЯ sie durch ihr spдtes Kommen auch noch in den AbschluЯ dieses Tages Unruhe und Unordnung brachte. Sie war auch schuld daran, daЯ er heute nicht zu Abend gegessen und daЯ er den fьr heute beabsichtigten Besuch bei Elsa unterlassen hatte. Beides konnte er allerdings noch dadurch nachholen, daЯ er jetzt in das Weinlokal ging, in dem Elsa bedienstet war. Er wollte es auch noch spдter nach der Unterredung mit Frдulein Bьrstner tun.
Es war halb zwцlf vorьber, als jemand im Treppenhaus zu hцren war. K., der, seinen Gedanken hingegeben, im Vorzimmer so, als wдre es sein eigenes Zimmer, laut auf und ab ging, flьchtete hinter seine Tьr. Es war Frдulein Bьrstner, die gekommen war. Frцstelnd zog sie, wдhrend sie die Tьr versperrte, einen seidenen Schal um ihre schmalen Schultern zusammen. Im nдchsten Augenblick muЯte sie in ihr Zimmer gehen, in das K. gewiЯ um Mitternacht nicht eindringen durfte; er muЯte sie also jetzt ansprechen, hatte aber unglьcklicherweise versдumt, das elektrische Licht in seinem Zimmer anzudrehen, so daЯ sein Vortreten aus dem dunklen Zimmer den Anschein eines Ьberfalls hatte und wenigstens sehr erschrecken muЯte. In seiner Hilflosigkeit und da keine Zeit zu verlieren war, flьsterte er durch den Tьrspalt: »Frдulein Bьrstner.« Es klang wie eine Bitte, nicht wie ein Anruf. »Ist jemand hier?« fragte Frдulein Bьrstner und sah sich mit groЯen Augen um. »Ich bin es«, sagte K. und trat vor. »Ach, Herr K.!« sagte Frдulein Bьrstner lдchelnd. »Guten Abend«, und sie reichte ihm die Hand. »Ich wollte ein paar Worte mit Ihnen sprechen, wollen Sie mir das jetzt erlauben?« »Jetzt?« fragte Frдulein Bьrstner, »muЯ es jetzt sein? Es ist ein wenig sonderbar, nicht?« »Ich warte seit neun Uhr auf Sie.« »Nun ja, ich war im Theater, ich wuЯte doch nichts von Ihnen.« »Der AnlaЯ fьr das, was ich Ihnen sagen will, hat sich erst heute ergeben.« »So, nun ich habe ja nichts Grundsдtzliches dagegen, auЯer daЯ ich zum Hinfallen mьde bin. Also kommen Sie auf ein paar Minuten in mein Zimmer. Hier kцnnten wir uns auf keinen Fall unterhalten, wir wecken ja alle und das wдre mir unseretwegen noch unangenehmer als der Leute wegen. Warten Sie hier, bis ich in meinem Zimmer angezьndet habe, und drehen Sie dann hier das Licht ab.« K. tat so, wartete dann aber noch bis Frдulein Bьrstner ihn aus ihrem Zimmer nochmals leise aufforderte zu kommen. »Setzen Sie sich«, sagte sie und zeigte auf die Ottomane, sie selbst blieb aufrecht am Bettpfosten trotz der Mьdigkeit, von der sie gesprochen hatte; nicht einmal ihren kleinen, aber mit einer Ьberfьlle von Blumen geschmьckten Hut legte sie ab. »Was wollten Sie also? Ich bin wirklich neugierig.« Sie kreuzte leicht die Beine. »Sie werden vielleicht sagen«, begann K., »daЯ die Sache nicht so dringend war, um jetzt besprochen zu werden, aber –« »Einleitungen ьberhцre ich immer«, sagte Frдulein Bьrstner. »Das erleichtert meine Aufgabe«, sagte K. »Ihr Zimmer ist heute frьh, gewissermaЯen durch meine Schuld, ein wenig in Unordnung gebracht worden, es geschah durch fremde Leute gegen meinen Willen und doch, wie gesagt, durch meine Schuld; dafьr wollte ich um Entschuldigung bitten.« »Mein Zimmer?« fragte Frдulein Bьrstner und sah statt des Zimmers K. prьfend an. »Es ist so«, sagte K., und nun sahen beide einander zum erstenmal in die Augen, »die Art und Weise, in der es geschah, ist an sich keines Wortes wert.« »Aber doch das eigentlich Interessante«, sagte Frдulein Bьrstner. »Nein«, sagte K. »Nun«, sagte Frдulein Bьrstner, »ich will mich nicht in Geheimnisse eindrдngen, bestehen Sie darauf, daЯ es uninteressant ist, so will ich auch nichts dagegen einwenden. Die Entschuldigung, um die Sie bitten, gebe ich Ihnen gern, besonders da ich keine Spur einer Unordnung finden kann.« Sie machte, die flachen Hдnde tief an die Hьften gelegt, einen Rundgang durch das Zimmer. Bei der Matte mit den Photographien blieb sie stehen. »Sehen Sie doch!« rief sie. »Meine Photographien sind wirklich durcheinandergeworfen. Das ist aber hдЯlich. Es ist also jemand unberechtigterweise in meinem Zimmer gewesen.« K. nickte und verfluchte im stillen den Beamten Kaminer, der seine цde, sinnlose Lebhaftigkeit niemals zдhmen konnte. »Es ist sonderbar«, sagte Frдulein Bьrstner, »daЯ ich gezwungen bin, Ihnen etwas zu verbieten, was Sie sich selbst verbieten mьЯten, nдmlich in meiner Abwesenheit mein Zimmer zu betreten.« »Ich erklдrte Ihnen doch, Frдulein«, sagte K. und ging auch zu den Photographien, »daЯ nicht ich es war, der sich an Ihren Photographien vergangen hat; aber da Sie mir nicht glauben, so muЯ ich also eingestehen, daЯ die Untersuchungskommission drei Bankbeamte mitgebracht hat, von denen der eine, den ich bei nдchster Gelegenheit aus der Bank hinausbefцrdern werde, die Photographien wahrscheinlich in die Hand genommen hat. Ja, es war eine Untersuchungskommission hier«, fьgte K. hinzu, da ihn das Frдulein mit einem fragenden Blick ansah. »Ihretwegen?« fragte das Frдulein. »Ja«, antwortete K. »Nein!« rief das Frдulein und lachte. »Doch«, sagte K., »glauben Sie denn, daЯ ich schuldlos bin?« »Nun, schuldlos ...« sagte das Frдulein, »ich will nicht gleich ein vielleicht folgenschweres Urteil aussprechen, auch kenne ich Sie doch nicht, es muЯ doch schon ein schwerer Verbrecher sein, dem man gleich eine Untersuchungskommission auf den Leib schickt. Da Sie aber doch frei sind – ich schlieЯe wenigstens aus Ihrer Ruhe, daЯ Sie nicht aus dem Gefдngnis entlaufen sind – so kцnnen Sie doch kein solches Verbrechen begangen haben.« »Ja«, sagte K., »aber die Untersuchungskommission kann doch eingesehen haben, daЯ ich unschuldig bin oder doch nicht so schuldig, wie angenommen wurde.« »GewiЯ, das kann sein«, sagte Frдulein Bьrstner sehr aufmerksam. »Sehen Sie«, sagte K., »Sie haben nicht viel Erfahrung in Gerichtssachen.« »Nein, das habe ich nicht«, sagte Frдulein Bьrstner, »und habe es auch schon oft bedauert, denn ich mцchte alles wissen, und gerade Gerichtssachen interessieren mich ungemein. Das Gericht hat eine eigentьmliche Anziehungskraft, nicht? Aber ich werde in dieser Richtung meine Kenntnisse sicher vervollstдndigen, denn ich trete nдchsten Monat als Kanzleikraft in ein Advokatenbьro ein.« »Das ist sehr gut«, sagte K., »Sie werden mir dann in meinem ProzeЯ ein wenig helfen kцnnen.« »Das kцnnte sein«, sagte Frдulein Bьrstner, »warum denn nicht? Ich verwende gern meine Kenntnisse.« »Ich meine es auch im Ernst«, sagte K., »oder zumindest in dem halben Ernst, in dem Sie es meinen. Um einen Advokaten heranzuziehen, dazu ist die Sache doch zu kleinlich, aber einen Ratgeber kцnnte ich gut brauchen.« »Ja, aber wenn ich Ratgeber sein soll, mьЯte ich wissen, worum es sich handelt«, sagte Frдulein Bьrstner. »Das ist eben der Haken«, sagte K., »das weiЯ ich selbst nicht.« »Dann haben Sie sich also einen SpaЯ aus mir gemacht«, sagte Frдulein Bьrstner ьbermдЯig enttдuscht, »es war hцchst unnцtig, sich diese spдte Nachtzeit dazu auszusuchen.« Und sie ging von den Photographien weg, wo sie so lange vereinigt gestanden hatten. »Aber nein, Frдulein«, sagte K., »ich mache keinen SpaЯ. DaЯ Sie mir nicht glauben wollen! Was ich weiЯ, habe ich Ihnen schon gesagt. Sogar mehr als ich weiЯ, denn es war gar keine Untersuchungskommission, ich nenne es so, weil ich keinen andern Namen dafьr weiЯ. Es wurde gar nichts untersucht, ich wurde nur verhaftet, aber von einer Kommission.« Frдulein Bьrstner saЯ auf der Ottomane und lachte wieder. »Wie war es denn?« fragte sie. »Schrecklich«, sagte K., aber er dachte jetzt gar nicht daran, sondern war ganz vom Anblick des Frдulein Bьrstner ergriffen, die das Gesicht auf eine Hand stьtzte – der Ellbogen ruhte auf dem Kissen der Ottomane – wдhrend die andere Hand langsam die Hьfte strich. »Das ist zu allgemein«, sagte Frдulein Bьrstner. »Was ist zu allgemein?« fragte K. Dann erinnerte er sich und fragte: »Soll ich Ihnen zeigen, wie es gewesen ist?« Er wollte Bewegung machen und doch nicht weggehen. »Ich bin schon mьde«, sagte Frдulein Bьrstner. »Sie kamen so spдt«, sagte K. »Nun endet es damit, daЯ ich Vorwьrfe bekomme, es ist auch berechtigt, denn ich hдtte Sie nicht mehr hereinlassen sollen. Notwendig war es ja auch nicht, wie es sich gezeigt hat.« »Es war notwendig, das werden Sie erst jetzt sehn«, sagte K. »Darf ich das Nachttischchen von Ihrem Bett herrьcken?« »Was fдllt Ihnen ein?« sagte Frдulein Bьrstner, »das dьrfen Sie natьrlich nicht!« »Dann kann ich es Ihnen nicht zeigen«, sagte K. aufgeregt, als fьge man ihm dadurch einen unermeЯlichen Schaden zu. »Ja, wenn Sie es zur Darstellung brauchen, dann rьcken Sie das Tischchen nur ruhig fort«, sagte Frдulein Bьrstner und fьgte nach einem Weilchen mit schwдcherer Stimme hinzu: »Ich bin so mьde, daЯ ich mehr erlaube, als gut ist.« K. stellte das Tischchen in die Mitte des Zimmers und setzte sich dahinter. »Sie mьssen sich die Verteilung der Personen richtig vorstellen, es ist sehr interessant. Ich bin der Aufseher, dort auf dem Koffer sitzen zwei Wдchter, bei den Photographien stehen drei junge Leute. An der Fensterklinke hдngt, was ich nur nebenbei erwдhne, eine weiЯe Bluse. Und jetzt fдngt es an. Ja, ich vergesse mich. Die wichtigste Person, also ich, stehe hier vor dem Tischchen. Der Aufseher sitzt дuЯerst bequem, die Beine ьbereinandergelegt, den Arm hier ьber die Lehne hinunterhдngend, ein Lьmmel sondergleichen. Und jetzt fдngt es also wirklich an. Der Aufseher ruft, als ob er mich wecken mьЯte, er schreit geradezu, ich muЯ leider, wenn ich es Ihnen begreiflich machen will, auch schreien, es ist ьbrigens nur mein Name, den er so schreit.« Frдulein Bьrstner, die lachend zuhцrte, legte den Zeigefinger an den Mund, um K. am Schreien zu hindern, aber es war zu spдt. K. war zu sehr in der Rolle, er rief langsam: »Josef K.!«, ьbrigens nicht so laut, wie er gedroht hatte, aber doch so, daЯ sich der Ruf, nachdem er plцtzlich ausgestoЯen war, erst allmдhlich im Zimmer zu verbreiten schien.
Da klopfte es an die Tьr des Nebenzimmers einigemal, stark, kurz und regelmдЯig. Frдulein Bьrstner erbleichte und legte die Hand aufs Herz. K. erschrak deshalb besonders stark, weil er noch ein Weilchen ganz unfдhig gewesen war, an etwas anderes zu denken als an die Vorfдlle des Morgens und an das Mдdchen, dem er sie vorfьhrte. Kaum hatte er sich gefaЯt, sprang er zu Frдulein Bьrstner und nahm ihre Hand. »Fьrchten Sie nichts«, flьsterte er, »ich werde alles in Ordnung bringen. Wer kann es aber sein? Hier nebenan ist doch nur das Wohnzimmer, in dem niemand schlдft. Doch«, flьsterte Frдulein Bьrstner an K.s Ohr, »seit gestern schlдft hier ein Neffe von Frau Grubach, ein Hauptmann. Es ist gerade kein anderes Zimmer frei. Auch ich habe es vergessen. DaЯ Sie so schreien muЯten! Ich bin unglьcklich darьber.« »Dafьr ist gar kein Grund«, sagte K. und kьЯte, als sie jetzt auf das Kissen zurьcksank, ihre Stirn. »Weg, weg«, sagte sie und richtete sich eilig wieder auf, »gehen Sie doch, gehen Sie doch, was wollen Sie, er horcht doch an der Tьr, er hцrt doch alles. Wie Sie mich quдlen! Ich gehe nicht frьher«, sagte K., »als Sie ein wenig beruhigt sind. Kommen Sie in die andere Ecke des Zimmers, dort kann er uns nicht hцren.« Sie lieЯ sich dorthin fьhren. »Sie ьberlegen nicht«, sagte er, »daЯ es sich zwar um eine Unannehmlichkeit fьr Sie handelt, aber durchaus nicht um eine Gefahr. Sie wissen, wie mich Frau Grubach, die in dieser Sache doch entscheidet, besonders da der Hauptmann ihr Neffe ist, geradezu verehrt und alles, was ich sage, unbedingt glaubt. Sie ist auch im ьbrigen von mir abhдngig, denn sie hat eine grцЯere Summe von mir geliehen. Jeden Ihrer Vorschlдge ьber eine Erklдrung fьr unser Beisammen nehme ich an, wenn es nur ein wenig zweckentsprechend ist, und verbьrge mich, Frau Grubach dazu zu bringen, die Erklдrung nicht nur vor der Цffentlichkeit, sondern wirklich und aufrichtig zu glauben. Mich mьssen Sie dabei in keiner Weise schonen. Wollen Sie verbreitet haben, daЯ ich Sie ьberfallen habe, so wird Frau Grubach in diesem Sinne unterrichtet werden und wird es glauben, ohne das Vertrauen zu mir zu verlieren, so sehr hдngt sie an mir.« Frдulein Bьrstner sah, still und ein wenig zusammengesunken, vor sich auf den Boden. »Warum sollte Frau Grubach nicht glauben, daЯ ich Sie ьberfallen habe?« fьgte K. hinzu. Vor sich sah er ihr Haar, geteiltes, niedrig gebauschtes, fest zusammengehaltenes, rцtliches Haar. Er glaubte, sie werde ihm den Blick zuwenden, aber sie sagte in unverдnderter Haltung: »Verzeihen Sie, ich bin durch das plцtzliche Klopfen so erschreckt worden, nicht so sehr durch die Folgen, die die Anwesenheit des Hauptmannes haben kцnnte. Es war so still nach Ihrem Schrei, und da klopfte es, deshalb bin ich so erschrocken, ich saЯ auch in der Nдhe der Tьr, es klopfte fast neben mir. Fьr Ihre Vorschlдge danke ich, aber ich nehme sie nicht an. Ich kann fьr alles, was in meinem Zimmer geschieht, die Verantwortung tragen, und zwar gegenьber jedem. Ich wundere mich, daЯ Sie nicht merken, was fьr eine Beleidigung fьr mich in Ihren Vorschlдgen liegt, neben den guten Absichten natьrlich, die ich gewiЯ anerkenne. Aber nun gehen Sie, lassen Sie mich allein, ich habe es jetzt noch nцtiger als frьher. Aus den wenigen Minuten, um die Sie gebeten haben, ist nun eine halbe Stunde und mehr geworden.« K. faЯte sie bei der Hand und dann beim Handgelenk: »Sie sind mir aber nicht bцse?« sagte er. Sie streifte seine Hand ab und antwortete: »Nein, nein, ich bin niemals und niemandem bцse.« Er faЯte wieder nach ihrem Handgelenk, sie duldete es jetzt und fьhrte ihn so zur Tьr. Er war fest entschlossen, wegzugehen. Aber vor der Tьr, als hдtte er nicht erwartet, hier eine Tьr zu finden, stockte er, diesen Augenblick benьtzte Frдulein Bьrstner, sich loszumachen, die Tьr zu цffnen, ins Vorzimmer zu schlьpfen und von dort aus K. leise zu sagen: »Nun kommen Sie doch, bitte. Sehen Sie« – sie zeigte auf die Tьr des Hauptmanns, unter der ein Lichtschein hervorkam – »er hat angezьndet und unterhдlt sich ьber uns.
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