Франц Кафка
Das Prozess
Erstes Kapitel Verhaftung, Gesprдch mit Frau Grubach, dann Frдulein Brьstner
Jemand muЯte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daЯ er etwas Bцses getan hдtte, wurde er eines Morgens verhaftet. Die Kцchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr frьh das Frьhstьck brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenьber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewцhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, lдutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid, das, дhnlich den Reiseanzьgen, mit verschiedenen Falten, Taschen, Schnallen, Knцpfen und einem Gьrtel versehen war und infolgedessen, ohne daЯ man sich darьber klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien. »Wer sind Sie?« fragte K. und saЯ gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging ьber die Frage hinweg, als mьsse man seine Erscheinung hinnehmen, und sagte bloЯ seinerseits: »Sie haben gelдutet?« »Anna soll mir das Frьhstьck bringen«, sagte K. und versuchte, zunдchst stillschweigend, durch Aufmerksamkeit und Ьberlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war. Aber dieser setzte sich nicht allzulange seinen Blicken aus, sondern wandte sich zur Tьr, die er ein wenig цffnete, um jemandem, der offenbar knapp hinter der Tьr stand, zu sagen: »Er will, daЯ Anna ihm das Frьhstьck bringt.« Ein kleines Gelдchter im Nebenzimmer folgte, es war nach dem Klang nicht sicher, ob nicht mehrere Personen daran beteiligt waren. Obwohl der fremde Mann dadurch nichts erfahren haben konnte, was er nicht schon frьher gewuЯt hдtte, sagte er nun doch zu K. im Tone einer Meldung: »Es ist unmцglich.« »Das wдre neu«, sagte K., sprang aus dem Bett und zog rasch seine Hosen an. »Ich will doch sehen, was fьr Leute im Nebenzimmer sind und wie Frau Grubach diese Stцrung mir gegenьber verantworten wird.« Es fiel ihm zwar gleich ein, daЯ er das nicht hдtte laut sagen mьssen und daЯ er dadurch gewissermaЯen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber es schien ihm jetzt nicht wichtig. Immerhin faЯte es der Fremde so auf, denn er sagte: »Wollen Sie nicht lieber hierbleiben?« »Ich will weder hierbleiben, noch von Ihnen angesprochen werden, solange Sie sich mir nicht vorstellen.« »Es war gut gemeint«, sagte der Fremde und цffnete nun freiwillig die Tьr. Im Nebenzimmer, in das K. langsamer eintrat, als er wollte, sah es auf den ersten Blick fast genau so aus wie am Abend vorher. Es war das Wohnzimmer der Frau Grubach, vielleicht war in diesem mit Mцbeln, Decken, Porzellan und Photographien ьberfьllten Zimmer heute ein wenig mehr Raum als sonst, man erkannte das nicht gleich, um so weniger, als die Hauptverдnderung in der Anwesenheit eines Mannes bestand, der beim offenen Fenster mit einem Buch saЯ, von dem er jetzt aufblickte, »Sie hдtten in Ihrem Zimmer bleiben sollen! Hat es Ihnen denn Franz nicht gesagt?« »Ja, was wollen Sie denn?« sagte K. und sah von der neuen Bekanntschaft zu dem mit Franz Benannten, der in der Tьr stehengeblieben war, und dann wieder zurьck. Durch das offene Fenster erblickte man wieder die alte Frau, die mit wahrhaft greisenhafter Neugierde zu dem jetzt gegenьberliegenden Fenster getreten war, um auch weiterhin alles zu sehen. »Ich will doch Frau Grubach –«, sagte K., machte eine Bewegung, als reiЯe er sich von den zwei Mдnnern los, die aber weit von ihm entfernt standen, und wollte weitergehen. »Nein«, sagte der Mann beim Fenster, warf das Buch auf ein Tischchen und stand auf. »Sie dьrfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.« »Es sieht so aus«, sagte K. »Und warum denn?« fragte er dann. »Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe ьber meinen Auftrag hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede. Aber ich hoffe, es hцrt es niemand sonst als Franz, und der ist selbst gegen alle Vorschrift freundlich zu Ihnen. Wenn Sie auch weiterhin so viel Glьck haben wie bei der Bestimmung Ihrer Wдchter, dann kцnnen Sie zuversichtlich sein.« K. wollte sich setzen, aber nun sah er, daЯ im ganzen Zimmer keine Sitzgelegenheit war, auЯer dem Sessel beim Fenster. »Sie werden noch einsehen, wie wahr das alles ist«, sagte Franz und ging gleichzeitig mit dem andern Mann auf ihn zu. Besonders der letztere ьberragte K. bedeutend und klopfte ihm цfters auf die Schulter. Beide prьften K.s Nachthemd und sagten, daЯ er jetzt ein viel schlechteres Hemd werde anziehen mьssen, daЯ sie aber dieses Hemd wie auch seine ьbrige Wдsche aufbewahren und, wenn seine Sache gьnstig ausfallen sollte, ihm wieder zurьckgeben wьrden. »Es ist besser, Sie geben die Sachen uns als ins Depot«, sagten sie, »denn im Depot kommen цfters Unterschleife vor und auЯerdem verkauft man dort alle Sachen nach einer gewissen Zeit, ohne Rьcksicht, ob das betreffende Verfahren zu Ende ist oder nicht. Und wie lange dauern doch derartige Prozesse, besonders in letzter Zeit! Sie bekдmen dann schlieЯlich allerdings vom Depot den Erlцs, aber dieser Erlцs ist erstens an sich schon gering, denn beim Verkauf entscheidet nicht die Hцhe des Angebotes, sondern die Hцhe der Bestechung, und weiter verringern sich solche Erlцse erfahrungsgemдЯ, wenn sie von Hand zu Hand und von Jahr zu Jahr weitergegeben werden.« K. achtete auf diese Reden kaum, das Verfьgungsrecht ьber seine Sachen, das er vielleicht noch besaЯ, schдtzte er nicht hoch ein, viel wichtiger war es ihm, Klarheit ьber seine Lage zu bekommen; in Gegenwart dieser Leute konnte er aber nicht einmal nachdenken, immer wieder stieЯ der Bauch des zweiten Wдchters – es konnten ja nur Wдchter sein – fцrmlich freundschaftlich an ihn, sah er aber auf, dann erblickte er ein zu diesem dicken Kцrper gar nicht passendes trockenes, knochiges Gesicht mit starker, seitlich gedrehter Nase, das sich ьber ihn hinweg mit dem anderen Wдchter verstдndigte. Was waren denn das fьr Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behцrde gehцrten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, ьberall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu ьberfallen? Er neigte stets dazu, alles mцglichst leicht zu nehmen, das Schlimmste erst beim Eintritt des Schlimmsten zu glauben, keine Vorsorge fьr die Zukunft zu treffen, selbst wenn alles drohte. Hier schien ihm das aber nicht richtig, man konnte zwar das Ganze als SpaЯ ansehen, als einen groben SpaЯ, den ihm aus unbekannten Grьnden, vielleicht weil heute sein dreiЯigster Geburtstag war, die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten, es war natьrlich mцglich, vielleicht brauchte er nur auf irgendeine Weise den Wдchtern ins Gesicht zu lachen, und sie wьrden mitlachen, vielleicht waren es Dienstmдnner von der StraЯenecke, sie sahen ihnen nicht unдhnlich – trotzdem war er diesmal, fцrmlich schon seit dem ersten Anblick des Wдchters Franz, entschlossen, nicht den geringsten Vorteil, den er vielleicht gegenьber diesen Leuten besaЯ, aus der Hand zu geben. Darin, daЯ man spдter sagen wьrde, er habe keinen SpaЯ verstanden, sah K. eine ganz geringe Gefahr, wohl aber erinnerte er sich – ohne daЯ es sonst seine Gewohnheit gewesen wдre, aus Erfahrungen zu lernen – an einige, an sich unbedeutende Fдlle, in denen er zum Unterschied von seinen Freunden mit BewuЯtsein, ohne das geringste Gefьhl fьr die mцglichen Folgen, sich unvorsichtig benommen hatte und dafьr durch das Ergebnis gestraft worden war. Es sollte nicht wieder geschehen, zumindest nicht diesmal; war es eine Komцdie, so wollte er mitspielen.
Noch war er frei. »Erlauben Sie«, sagte er und ging eilig zwischen den Wдchtern durch in sein Zimmer. »Er scheint vernьnftig zu sein«, hцrte er hinter sich sagen. In seinem Zimmer riЯ er gleich die Schubladen des Schreibtischs auf, es lag dort alles in groЯer Ordnung, aber gerade die Legitimationspapiere, die er suchte, konnte er in der Aufregung nicht gleich finden. SchlieЯlich fand er seine Radfahrlegitimation und wollte schon mit ihr zu den Wдchtern gehen, dann aber schien ihm das Papier zu geringfьgig und er suchte weiter, bis er den Geburtsschein fand. Als er wieder in das Nebenzimmer zurьckkam, цffnete sich gerade die gegenьberliegende Tьr und Frau Grubach wollte dort eintreten. Man sah sie nur einen Augenblick, denn kaum hatte sie K. erkannt, als sie offenbar verlegen wurde, um Verzeihung bat, verschwand und дuЯerst vorsichtig die Tьr schloЯ. »Kommen Sie doch herein«, hatte K. gerade noch sagen kцnnen. Nun aber stand er mit seinen Papieren in der Mitte des Zimmers, sah noch auf die Tьr hin, die sich nicht wieder цffnete, und wurde erst durch einen Anruf der Wдchter aufgeschreckt, die bei dem Tischchen am offenen Fenster saЯen und, wie K. jetzt erkannte, sein Frьhstьck verzehrten. »Warum ist sie nicht eingetreten?« fragte er. »Sie darf nicht«, sagte der groЯe Wдchter. »Sie sind doch verhaftet.« »Wie kann ich denn verhaftet sein? Und gar auf diese Weise?« »Nun fangen Sie also wieder an«, sagte der Wдchter und tauchte ein Butterbrot ins HonigfдЯchen. »Solche Fragen beantworten wir nicht.« »Sie werden sie beantworten mьssen«, sagte K. »Hier sind meine Legitimationspapiere, zeigen Sie mir jetzt die Ihrigen und vor allem den Verhaftbefehl.« »Du lieber Himmel!« sagte der Wдchter. »DaЯ Sie sich in Ihre Lage nicht fьgen kцnnen und daЯ Sie es darauf angelegt zu haben scheinen, uns, die wir Ihnen jetzt wahrscheinlich von allen Ihren Mitmenschen am nдchsten stehen, nutzlos zu reizen!« »Es ist so, glauben Sie es doch«, sagte Franz, fьhrte die Kaffeetasse, die er in der Hand hielt, nicht zum Mund, sondern sah K. mit einem langen, wahrscheinlich bedeutungsvollen, aber unverstдndlichen Blick an. K. lieЯ sich, ohne es zu wollen, in ein Zwiegesprдch der Blicke mit Franz ein, schlug dann aber doch auf seine Papiere und sagte: »Hier sind meine Legitimationspapiere.« »Was kьmmern uns denn die?« rief nun schon der groЯe Wдchter. »Sie fьhren sich дrger auf als ein Kind. Was wollen Sie denn? Wollen Sie Ihren groЯen, verfluchten ProzeЯ dadurch zu einem raschen Ende bringen, daЯ Sie mit uns, den Wдchtern, ьber Legitimation und Verhaftbefehl diskutieren? Wir sind niedrige Angestellte, die sich in einem Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts anderes zu tun haben, als daЯ sie zehn Stunden tдglich bei Ihnen Wache halten und dafьr bezahlt werden. Das ist alles, was wir sind, trotzdem aber sind wir fдhig, einzusehen, daЯ die hohen Behцrden, in deren Dienst wir stehen, ehe sie eine solche Verhaftung verfьgen, sich sehr genau ьber die Grьnde der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen Irrtum. Unsere Behцrde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevцlkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heiЯt, von der Schuld angezogen und muЯ uns Wдchter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo gдbe es da einen Irrtum?« »Dieses Gesetz kenne ich nicht«, sagte K. »Desto schlimmer fьr Sie«, sagte der Wдchter. »Es besteht wohl auch nur in Ihren Kцpfen«, sagte K., er wollte sich irgendwie in die Gedanken der Wдchter einschleichen, sie zu seinen Gunsten wenden oder sich dort einbьrgern. Aber der Wдchter sagte nur abweisend: »Sie werden es zu fьhlen bekommen.« Franz mischte sich ein und sagte: »Sieh, Willem, er gibt zu, er kenne das Gesetz nicht, und behauptet gleichzeitig, schuldlos zu sein.« »Du hast ganz recht, aber ihm kann man nichts begreiflich machen«, sagte der andere. K. antwortete nichts mehr; muЯ ich, dachte er, durch das Geschwдtz dieser niedrigsten Organe – sie geben selbst zu, es zu sein – mich noch mehr verwirren lassen? Sie reden doch jedenfalls von Dingen, die sie gar nicht verstehen. Ihre Sicherheit ist nur durch ihre Dummheit mцglich. Ein paar Worte, die ich mit einem mir ebenbьrtigen Menschen sprechen werde, werden alles unvergleichlich klarer machen als die lдngsten Reden mit diesen. Er ging einige Male in dem freien Raum des Zimmers auf und ab, drьben sah er die alte Frau, die einen noch viel дlteren Greis zum Fenster gezerrt hatte, den sie umschlungen hielt. K. muЯte dieser Schaustellung ein Ende machen: »Fьhren Sie mich zu Ihrem Vorgesetzten«, sagte er. »Wenn er es wьnscht; nicht frьher«, sagte der Wдchter, der Willem genannt worden war. »Und nun rate ich Ihnen«, fьgte er hinzu, »in Ihr Zimmer zu gehen, sich ruhig zu verhalten und darauf zu warten, was ьber Sie verfьgt werden wird. Wir raten Ihnen, zerstreuen Sie sich nicht durch nutzlose Gedanken, sondern sammeln Sie sich, es werden groЯe Anforderungen an Sie gestellt werden. Sie haben uns nicht so behandelt, wie es unser Entgegenkommen verdient hдtte, Sie haben vergessen, daЯ wir, mцgen wir auch sein was immer, zumindest jetzt Ihnen gegenьber freie Mдnner sind, das ist kein kleines Ьbergewicht. Trotzdem sind wir bereit, falls Sie Geld haben, Ihnen ein kleines Frьhstьck aus dem Kaffeehaus drьben zu bringen.«
Ohne auf dieses Angebot zu antworten, stand K. ein Weilchen lang still. Vielleicht wьrden ihn die beiden, wenn er die Tьr des folgenden Zimmers oder gar die Tьr des Vorzimmers цffnete, gar nicht zu hindern wagen, vielleicht wдre es die einfachste Lцsung des Ganzen, daЯ er es auf die Spitze trieb. Aber vielleicht wьrden sie ihn doch packen und, war er einmal niedergeworfen, so war auch alle Ьberlegenheit verloren, die er jetzt ihnen gegenьber in gewisser Hinsicht doch wahrte. Deshalb zog er die Sicherheit der Lцsung vor, wie sie der natьrliche Verlauf bringen muЯte, und ging in sein Zimmer zurьck, ohne daЯ von seiner Seite oder von Seite der Wдchter ein weiteres Wort gefallen wдre.
Er warf sich auf sein Bett und nahm vom Waschtisch einen schцnen Apfel, den er sich gestern abend fьr das Frьhstьck vorbereitet hatte. Jetzt war er sein einziges Frьhstьck und jedenfalls, wie er sich beim ersten groЯen Bissen versicherte, viel besser, als das Frьhstьck aus dem schmutzigen Nachtcafй gewesen wдre, das er durch die Gnade der Wдchter hдtte bekommen kцnnen. Er fьhlte sich wohl und zuversichtlich, in der Bank versдumte er zwar heute vormittag seinen Dienst, aber das war bei der verhдltnismдЯig hohen Stellung, die er dort einnahm, leicht entschuldigt. Sollte er die wirkliche Entschuldigung anfьhren? Er gedachte es zu tun. Wьrde man ihm nicht glauben, was in diesem Fall begreiflich war, so konnte er Frau Grubach als Zeugin fьhren oder auch die beiden Alten von drьben, die wohl jetzt auf dem Marsch zum gegenьberliegenden Fenster waren. Es wunderte K., wenigstens aus dem Gedankengang der Wдchter wunderte es ihn, daЯ sie ihn in das Zimmer getrieben und ihn hier allein gelassen hatten, wo er doch zehnfache Mцglichkeit hatte, sich umzubringen. Gleichzeitig allerdings fragte er sich, diesmal aus seinem Gedankengang, was fьr einen Grund er haben kцnnte, es zu tun. Etwa weil die zwei nebenan saЯen und sein Frьhstьck abgefangen hatten? Es wдre so sinnlos gewesen, sich umzubringen, daЯ er, selbst wenn er es hдtte tun wollen, infolge der Sinnlosigkeit dazu nicht imstande gewesen wдre. Wдre die geistige Beschrдnktheit der Wдchter nicht so auffallend gewesen, so hдtte man annehmen kцnnen, daЯ auch sie, infolge der gleichen Ьberzeugung, keine Gefahr darin gesehen hдtten, ihn allein zu lassen. Sie mochten jetzt, wenn sie wollten, zusehen, wie er zu einem Wandschrдnkchen ging, in dem er einen guten Schnaps aufbewahrte, wie er ein Glдschen zuerst zum Ersatz des Frьhstьcks leerte und wie er ein zweites Glдschen dazu bestimmte, sich Mut zu machen, das letztere nur aus Vorsicht fьr den unwahrscheinlichen Fall, daЯ es nцtig sein sollte.
Da erschreckte ihn ein Zuruf aus dem Nebenzimmer derartig, daЯ er mit den Zдhnen ans Glas schlug. »Der Aufseher ruft Sie!« hieЯ es. Es war nur das Schreien, das ihn erschreckte, dieses kurze, abgehackte, militдrische Schreien, das er dem Wдchter Franz gar nicht zugetraut hдtte. Der Befehl selbst war ihm sehr willkommen. »Endlich!« rief er zurьck, versperrte den Wandschrank und eilte sofort ins Nebenzimmer. Dort standen die zwei Wдchter und jagten ihn, als wдre das selbstverstдndlich, wieder in sein Zimmer zurьck. »Was fдllt Euch ein?« riefen sie. »Im Hemd wollt Ihr vor den Aufseher? Er lдЯt Euch durchprьgeln und uns mit!« »LaЯt mich, zum Teufel!« rief K., der schon bis zu seinem Kleiderkasten zurьckgedrдngt war, »wenn man mich im Bett ьberfдllt, kann man nicht erwarten, mich im Festanzug zu finden.« »Es hilft nichts«, sagten die Wдchter, die immer, wenn K. schrie, ganz ruhig, ja fast traurig wurden und ihn dadurch verwirrten oder gewissermaЯen zur Besinnung brachten. »Lдcherliche Zeremonien!« brummte er noch, hob aber schon einen Rock vom Stuhl und hielt ihn ein Weilchen mit beiden Hдnden, als unterbreite er ihn dem Urteil der Wдchter. Sie schьttelten die Kцpfe. »Es muЯ ein schwarzer Rock sein«, sagten sie. K. warf daraufhin den Rock zu Boden und sagte – er wuЯte selbst nicht, in welchem Sinne er es sagte –: »Es ist doch noch nicht die Hauptverhandlung.« Die Wдchter lдchelten, blieben aber bei ihrem: »Es muЯ ein schwarzer Rock sein.« »Wenn ich dadurch die Sache beschleunige, soll es mir recht sein«, sagte K., цffnete den Kleiderkasten, suchte lange unter den vielen Kleidern, wдhlte sein bestes schwarzes Kleid, ein Jackettkleid, das durch seine Taille unter den Bekannten fast Aufsehen gemacht hatte, zog nun auch ein anderes Hemd hervor und begann, sich sorgfдltig anzuziehen. Im geheimen glaubte er, eine Beschleunigung des Ganzen damit erreicht zu haben, daЯ die Wдchter vergessen hatten, ihn zum Bad zu zwingen. Er beobachtete sie, ob sie sich vielleicht daran doch erinnern wьrden, aber das fiel ihnen natьrlich gar nicht ein, dagegen vergaЯ Willem nicht, Franz mit der Meldung, daЯ sich K. anziehe, zum Aufseher zu schicken.
Als er vollstдndig angezogen war, muЯte er knapp vor Willem durch das leere Nebenzimmer in das folgende Zimmer gehen, dessen Tьr mit beiden Flьgeln bereits geцffnet war. Dieses Zimmer wurde, wie K. genau wuЯte, seit kurzer Zeit von einem Frдulein Bьrstner, einer Schreibmaschinistin, bewohnt, die sehr frьh in die Arbeit zu gehen pflegte, spдt nach Hause kam und mit der K. nicht viel mehr als die GruЯworte gewechselt hatte. Jetzt war das Nachttischchen von ihrem Bett als Verhandlungstisch in die Mitte des Zimmers gerьckt, und der Aufseher saЯ hinter ihm. Er hatte die Beine ьbereinandergeschlagen und einen Arm auf die Rьckenlehne des Stuhles gelegt.
In einer Ecke des Zimmers standen drei junge Leute und sahen die Photographien des Frдulein Bьrstner an, die in einer an der Wand aufgehдngten Matte steckten. An der Klinke des offenen Fensters hing eine weiЯe Bluse. Im gegenьberliegenden Fenster lagen wieder die zwei Alten, doch hatte sich ihre Gesellschaft vergrцЯert, denn hinter ihnen, sie weit ьberragend, stand ein Mann mit einem auf der Brust offenen Hemd, der seinen rцtlichen Spitzbart mit den Fingern drьckte und drehte. »Josef K.?« fragte der Aufseher, vielleicht nur um K.s zerstreute Blicke auf sich zu lenken. K. nickte. »Sie sind durch die Vorgдnge des heutigen Morgens wohl sehr ьberrascht?« fragte der Aufseher und verschob dabei mit beiden Hдnden die wenigen Gegenstдnde, die auf dem Nachttischchen lagen, die Kerze mit Zьndhцlzchen, ein Buch und ein Nadelkissen, als seien es Gegenstдnde, die er zur Verhandlung benцtige. »GewiЯ«, sagte K., und das Wohlgefьhl, endlich einem vernьnftigen Menschen gegenьberzustehen und ьber seine Angelegenheit mit ihm sprechen zu kцnnen, ergriff ihn. »GewiЯ, ich bin ьberrascht, aber ich bin keineswegs sehr ьberrascht.« »Nicht sehr ьberrascht?« fragte der Aufseher und stellte nun die Kerze in die Mitte des Tischchens, wдhrend er die anderen Sachen um sie gruppierte. »Sie miЯverstehen mich vielleicht«, beeilte sich K. zu bemerken. »Ich meine« – hier unterbrach sich K. und sah sich nach einem Sessel um. »Ich kann mich doch setzen?« fragte er. »Es ist nicht ьblich«, antwortete der Aufseher. »Ich meine«, sagte nun K. ohne weitere Pause, »ich bin allerdings sehr ьberrascht, aber man ist, wenn man dreiЯig Jahre auf der Welt ist und sich allein hat durchschlagen mьssen, wie es mir beschieden war, gegen Ьberraschungen abgehдrtet und nimmt sie nicht zu schwer. Besonders die heutige nicht.« »Warum besonders die heutige nicht?« »Ich will nicht sagen, daЯ ich das Ganze fьr einen SpaЯ ansehe, dafьr scheinen mir die Veranstaltungen, die gemacht wurden, doch zu umfangreich. Es mьЯten alle Mitglieder der Pension daran beteiligt sein und auch Sie alle, das ginge ьber die Grenzen eines SpaЯes. Ich will also nicht sagen, daЯ es ein SpaЯ ist.« »Ganz richtig«, sagte der Aufseher und sah nach, wieviel Zьndhцlzchen in der Zьndhцlzchenschachtel waren. »Andererseits aber«, fuhr K. fort und wandte sich hierbei an alle und hдtte gern sogar die drei bei den Photographien sich zugewendet, »andererseits aber kann die Sache auch nicht viel Wichtigkeit haben. Ich folgere das daraus, daЯ ich angeklagt bin, aber nicht die geringste Schuld auffinden kann, wegen deren man mich anklagen kцnnte. Aber auch das ist nebensдchlich, die Hauptfrage ist, von wem bin ich angeklagt? Welche Behцrde fьhrt das Verfahren? Sind Sie Beamte? Keiner hat eine Uniform, wenn man nicht Ihr Kleid« – hier wandte er sich an Franz – »eine Uniform nennen will, aber es ist doch eher ein Reiseanzug. In diesen Fragen verlange ich Klarheit, und ich bin ьberzeugt, daЯ wir nach dieser Klarstellung voneinander den herzlichsten Abschied werden nehmen kцnnen.« Der Aufseher schlug die Zьndhцlzchenschachtel auf den Tisch nieder. »Sie befinden sich in einem groЯen Irrtum«, sagte er. »Diese Herren hier und ich sind fьr Ihre Angelegenheit vollstдndig nebensдchlich, ja wir wissen sogar von ihr fast nichts. Wir kцnnten die regelrechtesten Uniformen tragen, und Ihre Sache wьrde um nichts schlechter stehen. Ich kann Ihnen auch durchaus nicht sagen, daЯ Sie angeklagt sind oder vielmehr, ich weiЯ nicht, ob Sie es sind. Sie sind verhaftet, das ist richtig, mehr weiЯ ich nicht. Vielleicht haben die Wдchter etwas anderes geschwдtzt, dann ist es eben nur Geschwдtz gewesen. Wenn ich nun aber auch Ihre Fragen nicht beantworte, so kann ich Ihnen doch raten, denken Sie weniger an uns und an das, was mit Ihnen geschehen wird, denken Sie lieber mehr an sich. Und machen Sie keinen solchen Lдrm mit dem Gefьhl Ihrer Unschuld, es stцrt den nicht gerade schlechten Eindruck, den Sie im ьbrigen machen. Auch sollten Sie ьberhaupt im Reden zurьckhaltender sein, fast alles, was Sie vorhin gesagt haben, hдtte man auch, wenn Sie nur ein paar Worte gesagt hдtten, Ihrem Verhalten entnehmen kцnnen, auЯerdem war es nichts fьr Sie ьbermдЯig Gьnstiges.« K. starrte den Aufseher an. SchulmдЯige Lehren bekam er hier von einem vielleicht jьngeren Menschen? Fьr seine Offenheit wurde er mit einer Rьge bestraft? Und ьber den Grund seiner Verhaftung und ьber deren Auftraggeber erfuhr er nichts? Er geriet in eine gewisse Aufregung, ging auf und ab, woran ihn niemand hinderte, schob seine Manschetten zurьck, befьhlte die Brust, strich sein Haar zurecht, kam an den drei Herren vorьber, sagte: »Es ist ja sinnlos«, worauf sich diese zu ihm umdrehten und ihn entgegenkommend, aber ernst ansahen und machte endlich wieder vor dem Tisch des Aufsehers halt. »Der Staatsanwalt Hasterer ist mein guter Freund«, sagte er, »kann ich ihm telephonieren?«, »GewiЯ«, sagte der Aufseher, »aber ich weiЯ nicht, welchen Sinn das haben sollte, es mьЯte denn sein, daЯ Sie irgendeine private Angelegenheit mit ihm zu besprechen haben.« »Welchen Sinn?« rief K., mehr bestьrzt als geдrgert. »Wer sind Sie denn? Sie wollen einen Sinn und fьhren dieses Sinnloseste auf, das es gibt? Ist es nicht zum Steinerweichen? Die Herren haben mich zuerst ьberfallen, und jetzt sitzen oder stehen sie hier herum und lassen mich vor Ihnen die Hohe Schule reiten. Welchen Sinn es hдtte, an einen Staatsanwalt zu telephonieren, wenn ich angeblich verhaftet bin? Gut, ich werde nicht telephonieren.« »Aber doch«, sagte der Aufseher und streckte die Hand zum Vorzimmer aus, wo das Telephon war, »bitte, telephonieren Sie doch.« »Nein, ich will nicht mehr«, sagte K. und ging zum Fenster. Drьben war noch die Gesellschaft beim Fenster und schien nur jetzt dadurch, daЯ K. ans Fenster herangetreten war, in der Ruhe des Zuschauens ein wenig gestцrt. Die Alten wollten sich erheben, aber der Mann hinter ihnen beruhigte sie. »Dort sind auch solche Zuschauer«, rief K. ganz laut dem Aufseher zu und zeigte mit dem Zeigefinger hinaus. »Weg von dort«, rief er dann hinьber. Die drei wichen auch sofort ein paar Schritte zurьck, die beiden Alten sogar noch hinter den Mann, der sie mit seinem breiten Kцrper deckte und, nach seinen Mundbewegungen zu schlieЯen, irgend etwas auf die Entfernung hin Unverstдndliches sagte. Ganz aber verschwanden sie nicht, sondern schienen auf den Augenblick zu warten, in dem sie sich unbemerkt wieder dem Fenster nдhern kцnnten. »Zudringliche, rьcksichtslose Leute!« sagte K., als er sich ins Zimmer zurьckwendete. Der Aufseher stimmte ihm mцglicherweise zu, wie K. mit einem Seitenblick zu erkennen glaubte. Aber es war ebensogut mцglich, daЯ er gar nicht zugehцrt hatte, denn er hatte eine Hand fest auf den Tisch gedrьckt und schien die Finger ihrer Lдnge nach zu vergleichen. Die zwei Wдchter saЯen auf einem mit einer Schmuckdecke verhьllten Koffer und rieben ihre Knie. Die drei jungen Leute hatten die Hдnde in die Hьften gelegt und sahen ziellos herum. Es war still wie in irgendeinem vergessenen Bьro. »Nun, meine Herren«, rief K., es schien ihm einen Augenblick lang, als trage er alle auf seinen Schultern, »Ihrem Aussehen nach zu schlieЯen, dьrfte meine Angelegenheit beendet sein. Ich bin der Ansicht, daЯ es am besten ist, ьber die Berechtigung oder Nichtberechtigung Ihres Vorgehens nicht mehr nachzudenken und der Sache durch einen gegenseitigen Hдndedruck einen versцhnlichen AbschluЯ zu geben. Wenn auch Sie meiner Ansicht sind, dann bitte –« und er trat an den Tisch des Aufsehers hin und reichte ihm die Hand. Der Aufseher hob die Augen, nagte an den Lippen und sah auf K.s ausgestreckte Hand; noch immer glaubte K., der Aufseher werde einschlagen. Dieser aber stand auf, nahm einen harten, runden Hut, der auf Frдulein Bьrstners Bett lag, und setzte sich ihn vorsichtig mit beiden Hдnden auf, wie man es bei der Anprobe neuer Hьte tut. »Wie einfach Ihnen alles scheint!« sagte er dabei zu K., »wir sollten der Sache einen versцhnlichen AbschluЯ geben, meinten Sie? Nein, nein, das geht wirklich nicht. Womit ich andererseits durchaus nicht sagen will, daЯ Sie verzweifeln sollen. Nein, warum denn? Sie sind nur verhaftet, nichts weiter. Das hatte ich Ihnen mitzuteilen, habe es getan und habe auch gesehen, wie Sie es aufgenommen haben. Damit ist es fьr heute genug und wir kцnnen uns verabschieden, allerdings nur vorlдufig. Sie werden wohl jetzt in die Bank gehen wollen?« »In die Bank?« fragte K., »ich dachte, ich wдre verhaftet.« K. fragte mit einem gewissen Trotz, denn obwohl sein Handschlag nicht angenommen worden war, fьhlte er sich, insbesondere seitdem der Aufseher aufgestanden war, immer unabhдngiger von allen diesen Leuten. Er spielte mit ihnen. Er hatte die Absicht, falls sie weggehen sollten, bis zum Haustor nachzulaufen und ihnen seine Verhaftung anzubieten. Darum wiederholte er auch: »Wie kann ich denn in die Bank gehen, da ich verhaftet bin?« »Ach so«, sagte der Aufseher, der schon bei der Tьr war, »Sie haben mich miЯverstanden. Sie sind verhaftet, gewiЯ, aber das soll Sie nicht hindern, Ihren Beruf zu erfьllen. Sie sollen auch in Ihrer gewцhnlichen Lebensweise nicht gehindert sein.« »Dann ist das Verhaftetsein nicht sehr schlimm«, sagte K. und ging nahe an den Aufseher heran. »Ich meinte es niemals anders«, sagte dieser. »Es scheint aber dann nicht einmal die Mitteilung der Verhaftung sehr notwendig gewesen zu sein«, sagte K. und ging noch nдher. Auch die anderen hatten sich genдhert. Alle waren jetzt auf einem engen Raum bei der Tьr versammelt. »Es war meine Pflicht«, sagte der Aufseher. »Eine dumme Pflicht«, sagte K. unnachgiebig. »Mag sein«, antwortete der Aufseher, »aber wir wollen mit solchen Reden nicht unsere Zeit verlieren. Ich hatte angenommen, daЯ Sie in die Bank gehen wollen. Da Sie auf alle Worte aufpassen, fьge ich hinzu: ich zwinge Sie nicht, in die Bank zu gehen, ich hatte nur angenommen, daЯ Sie es wollen. Und um Ihnen das zu erleichtern und Ihre Ankunft in der Bank mцglichst unauffдllig zu machen, habe ich diese drei Herren, Ihre Kollegen, hier zu Ihrer Verfьgung gestellt.« »Wie?« rief K. und staunte die drei an. Diese so uncharakteristischen, blutarmen, jungen Leute, die er immer noch nur als Gruppe bei den Photographien in der Erinnerung hatte, waren tatsдchlich Beamte aus seiner Bank, nicht Kollegen, das war zu viel gesagt und bewies eine Lьcke in der Allwissenheit des Aufsehers, aber untergeordnete Beamte aus der Bank waren es allerdings. Wie hatte K. das ьbersehen kцnnen? Wie hatte er doch hingenommen sein mьssen von dem Aufseher und den Wдchtern, um diese drei nicht zu erkennen!
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