А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

Ьbrigens gab es ja noch irgendwo vor einem Marienbild ein altes Weib, das auch hдtte kommen sollen. Und wenn es schon eine Predigt sein sollte, warum wurde sie nicht von der Orgel eingeleitet? Aber die blieb still und blinkte nur schwach aus der Finsternis ihrer groЯen Hцhe.
K. dachte daran, ob er sich jetzt nicht eiligst entfernen sollte, wenn er es jetzt nicht tat, war keine Aussicht, daЯ er es wдhrend der Predigt tun kцnnte, er muЯte dann bleiben, solange sie dauerte, im Bьro verlor er soviel Zeit, auf den Italiener zu warten, war er lдngst nicht mehr verpflichtet, er sah auf seine Uhr, es war elf. Aber konnte denn wirklich gepredigt werden? Konnte K. allein die Gemeinde darstellen? Wie, wenn er ein Fremder gewesen wдre, der nur die Kirche besichtigen wollte? Im Grunde war er auch nichts anderes. Es war unsinnig, daran zu denken, daЯ gepredigt werden sollte, jetzt um elf Uhr, an einem Werktag, bei grдЯlichstem Wetter. Der Geistliche – ein Geistlicher war es zweifellos, ein junger Mann mit glattem, dunklem Gesicht – ging offenbar nur hinauf, um die Lampe zu lцschen, die irrtьmlich angezьndet worden war.
Es war aber nicht so, der Geistliche prьfte vielmehr das Licht und schraubte es noch ein wenig auf, dann drehte er sich langsam der Brьstung zu, die er vom an der kantigen Einfassung mit beiden Hдnden erfaЯte. So stand er eine Zeitlang und blickte, ohne den Kopf zu rьhren, umher. K. war ein groЯes Stьck zurьckgewichen und lehnte mit den Ellbogen an der vordersten Kirchenbank. Mit unsicheren Augen sah er irgendwo, ohne den Ort genau zu bestimmen, den Kirchendiener, mit krummem Rьcken, friedlich, wie nach beendeter Aufgabe, sich zusammenkauern. Was fьr eine Stille herrschte jetzt im Dom! Aber K. muЯte sie stцren, er hatte nicht die Absicht, hierzubleiben; wenn es die Pflicht des Geistlichen war, zu einer bestimmten Stunde, ohne Rьcksicht auf die Umstдnde, zu predigen, so mochte er es tun, es wьrde auch ohne K.s Beistand gelingen, ebenso wie die Anwesenheit K.s die Wirkung gewiЯ nicht steigem wьrde. Langsam setzte sich also K. in Gang, tastete sich auf den FuЯspitzen an der Bank hin, kam dann in den breiten Hauptweg und ging dort ganz ungestцrt, nur daЯ der steinerne Boden unter dem leisesten Schritt erklang und die Wцlbungen schwach, aber ununterbrochen, in vielfachem, gesetzmдЯigem Fortschreiten davon widerhallten. K. fьhlte sich ein wenig verlassen, als er dort, vom Geistlichen vielleicht beobachtet, zwischen den leeren Bдnken allein hindurchging, auch schien ihm die GrцЯe des Doms gerade an der Grenze des fьr Menschen noch Ertrдglichen zu liegen. Als er zu seinem frьheren Platz kam, haschte er fцrmlich, ohne weiteren Aufenthalt, nach dem dort liegengelassenen Album und nahm es an sich. Fast hatte er schon das Gebiet der Bдnke verlassen und nдherte sich dem freien Raum, der zwischen ihnen und dem Ausgang lag, als er zum erstenmal die Stimme des Geistlichen hцrte. Eine mдchtige, geьbte Stimme. Wie durchdrang sie den zu ihrer Aufnahme bereiten Dom! Es war aber nicht die Gemeinde, die der Geistliche anrief, es war ganz eindeutig, und es gab keine Ausflьchte, er rief: »Josef K.!«
K. stockte und sah vor sich auf den Boden. Vorlдufig war er noch frei, er konnte noch weitergehen und durch eine der drei kleinen, dunklen Holztьren, die nicht weit vor ihm waren, sich davonmachen. Es wьrde eben bedeuten, daЯ er nicht verstanden hatte, oder daЯ er zwar verstanden hatte, sich aber darum nicht kьmmern wollte. Falls er sich aber umdrehte, war er festgehalten, denn dann hatte er das Gestдndnis gemacht, daЯ er gut verstanden hatte, daЯ er wirklich der Angerufene war und daЯ er auch folgen wollte. Hдtte der Geistliche nochmals gerufen, wдre K. gewiЯ fortgegangen, aber da alles still blieb, solange K. auch wartete, drehte er doch ein wenig den Kopf, denn er wollte sehen, was der Geistliche jetzt mache. Er stand ruhig auf der Kanzel wie frьher, es war aber deutlich zu sehen, daЯ er K.s Kopfwendung bemerkt hatte. Es wдre ein kindliches Versteckenspiel gewesen, wenn sich jetzt K. nicht vollstдndig umgedreht hдtte. Er tat es und wurde vom Geistlichen durch ein Winken des Fingers nдher gerufen. Da jetzt alles offen geschehen konnte, lief er – er tat es auch aus Neugierde und um die Angelegenheit abzukьrzen – mit langen, fliegenden Schritten der Kanzel entgegen. Bei den ersten Bдnken machte er halt, aber dem Geistlichen schien die Entfernung noch zu groЯ, er streckte die Hand aus und zeigte mit dem scharf gesenkten Zeigefinger auf eine Stelle knapp vor der Kanzel. K. folgte auch darin, er muЯte auf diesem Platz den Kopfschon weit zurьckbeugen, um den Geistlichen noch zu sehen. »Du bist Josef K.«, sagte der Geistliche und erhob eine Hand auf der Brьstung in einer unbestimmten Bewegung. »Ja«, sagte K., er dachte daran, wie offen er frьher immer seinen Namen genannt hatte, seit einiger Zeit war er ihm eine Last, auch kannten jetzt seinen Namen Leute, mit denen er zum erstenmal zusammenkam, wie schцn war es, sich zuerst vorzustellen und dann erst gekannt zu werden. »Du bist angeklagt«, sagte der Geistliche besonders leise. »Ja«, sagte K., »man hat mich davon verstдndigt.« »Dann bist du der, den ich suche«, sagte der Geistliche. »Ich bin der Gefдngniskaplan.« »Ach so«, sagte K. »Ich habe dich hierher rufen lassen«, sagte der Geistliche, »um mit dir zu sprechen.« »Ich wuЯte es nicht«, sagte K. »Ich bin hierhergekommen, um einem Italiener den Dom zu zeigen.« »LaЯ das Nebensдchliche«, sagte der Geistliche. »Was hдltst du in der Hand? Ist es ein Gebetbuch?« »Nein«, antwortete K., »es ist ein Album der stдdtischen Sehenswьrdigkeiten.« »Leg es aus der Hand«, sagte der Geistliche. K. warf es so heftig weg, daЯ es aufklappte und mit zerdrьckten Blдttern ein Stьck ьber den Boden schleifte. »WeiЯt du, daЯ dein ProzeЯ schlecht steht?« fragte der Geistliche. »Es scheint mir auch so«, sagte K. »Ich habe mir alle Mьhe gegeben, bisher aber ohne Erfolg. Allerdings habe ich die Eingabe noch nicht fertig.« »Wie stellst du dir das Ende vor?« fragte der Geistliche. »Frьher dachte ich, es mьsse gut enden«, sagte K., »jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich weiЯ nicht, wie es enden wird. WeiЯt du es?« »Nein«, sagte der Geistliche, »aber ich fьrchte, es wird schlecht enden. Man hдlt dich fьr schuldig. Dein ProzeЯ wird vielleicht ьber ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man hдlt wenigstens vorlдufig deine Schuld fьr erwiesen.« »Ich bin aber nicht schuldig«, sagte K., »es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch ьberhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.« »Das ist richtig«, sagte der Geistliche, »aber so pflegen die Schuldigen zu reden.« »Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?« fragte K. »Ich habe kein Vorurteil gegen dich«, sagte der Geistliche. »Ich danke dir«, sagte K., »alle anderen aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie flцЯen es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.« »Du miЯverstehst die Tatsachen«, sagte der Geistliche, »das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmдhlich ins Urteil ьber.« »So ist es also«, sagte K. und senkte den Kopf. »Was willst du nдchstens in deiner Sache tun?« fragte der Geistliche. »Ich will noch Hilfe suchen«, sagte K. und hob den Kopf, um zu sehen, wie der Geistliche es beurteile. »Es gibt noch gewisse Mцglichkeiten, die ich nicht ausgenьtzt habe.« »Du suchst zuviel fremde Hilfe«, sagte der Geistliche miЯbilligend, »und besonders bei Frauen. Merkst du denn nicht, daЯ es nicht die wahre Hilfe ist?« »Manchmal und sogar oft kцnnte ich dir recht geben«, sagte K., »aber nicht immer. Die Frauen haben eine groЯe Macht. Wenn ich einige Frauen, die ich kenne, dazu bewegen kцnnte, gemeinschaftlich fьr mich zu arbeiten, mьЯte ich durchdringen. Besonders bei diesem Gericht, das fast nur aus Frauenjдgern besteht. Zeig dem Untersuchungsrichter eine Frau aus der Ferne, und er ьberrennt, um nur rechtzeitig hinzukommen, den Gerichtstisch und den Angeklagten.« Der Geistliche neigte den Kopf zur Brьstung, jetzt erst schien die Ьberdachung der Kanzel ihn niederzudrьcken. Was fьr ein Unwetter mochte drauЯen sein? Das war kein trьber Tag mehr, das war schon tiefe Nacht. Keine Glasmalerei der groЯen Fenster war imstande, die dunkle Wand auch nur mit einem Schimmer zu unterbrechen. Und gerade jetzt begann der Kirchendiener, die Kerzen auf dem Hauptaltar, eine nach der anderen, auszulцschen. »Bist du mir bцse?« fragte K. den Geistlichen. »Du weiЯt vielleicht nicht, was fьr einem Gericht du dienst.« Er bekam keine Antwort. »Es sind doch nur meine Erfahrungen«, sagte K. Oben blieb es noch immer still. »Ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte K. Da schrie der Geistliche zu K. hinunter: »Siehst du denn nicht zwei Schritte weit?« Es war im Zorn geschrien, aber gleichzeitig wie von einem, der jemanden fallen sieht und, weil er selbst erschrocken ist, unvorsichtig, ohne Willen schreit.
Nun schwiegen beide lange. GewiЯ konnte der Geistliche in dem Dunkel, das unten herrschte, K. nicht genau erkennen, wдhrend K. den Geistlichen im Licht der kleinen Lampe deutlich sah. Warum kam der Geistliche nicht herunter? Eine Predigt hatte er ja nicht gehalten, sondern K. nur einige Mitteilungen gemacht, die ihm, wenn er sie genau beachtete, wahrscheinlich mehr schaden als nьtzen wьrden. Wohl aber schien K. die gute Absicht des Geistlichen zweifellos zu sein, es war nicht unmцglich, daЯ er sich mit ihm, wenn er herunterkдme, einigen wьrde, es war nicht unmцglich, daЯ er von ihm einen entscheidenden und annehmbaren Rat bekдme, der ihm zum Beispiel zeigen wьrde, nicht etwa wie der ProzeЯ zu beeinflussen war, sondern wie man aus dem ProzeЯ ausbrechen, wie man ihn umgehen, wie man auЯerhalb des Prozesses leben kцnnte. Diese Mцglichkeit muЯte bestehen, K. hatte in der letzten Zeit цfters an sie gedacht. WuЯte aber der Geistliche eine solche Mцglichkeit, wьrde er sie vielleicht, wenn man ihn darum bat, verraten, obwohl er selbst zum Gerichte gehцrte und obwohl er, als K. das Gericht angegriffen hatte, sein sanftes Wesen unterdrьckt und K. sogar angeschrien hatte.
»Willst du nicht herunterkommen?« sagte K. »Es ist doch keine Predigt zu halten. Komm zu mir herunter.« »Jetzt kann ich schon kommen«, sagte der Geistliche, er bereute vielleicht sein Schreien. Wдhrend er die Lampe von ihrem Haken lцste, sagte er: »Ich muЯte zuerst aus der Entfernung mit dir sprechen. Ich lasse mich sonst zu leicht beeinflussen und vergesse meinen Dienst.«
K. erwartete ihn unten an der Treppe. Der Geistliche streckte ihm schon von einer oberen Stufe im Hinuntergehen die Hand entgegen. »Hast du ein wenig Zeit fьr mich?« fragte K. »Soviel Zeit, als du brauchst«, sagte der Geistliche und reichte K. die kleine Lampe, damit er sie trage. Auch in der Nдhe verlor sich eine gewisse Feierlichkeit aus seinem Wesen nicht. »Du bist sehr freundlich zu mir«, sagte K., sie gingen nebeneinander im dunklen Seitenschiff auf und ab. »Du bist eine Ausnahme unter allen, die zum Gericht gehцren. Ich habe mehr Vertrauen zu dir als zu irgend jemandem von ihnen, so viele ich schon kenne. Mit dir kann ich offen reden.« »Tдusche dich nicht«, sagte der Geistliche. »Worin sollte ich mich denn tдuschen?« fragte K. »In dem Gericht tдuschst du dich«, sagte der Geistliche, »in den einleitenden Schriften zum Gesetz heiЯt es von dieser Tдuschung: Vor dem Gesetz steht ein Tьrhьter. Zu diesem Tьrhьter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Tьrhьter sagt, daЯ er ihm jetzt den Eintritt nicht gewдhren kцnne. Der Mann ьberlegt und fragt dann, ob er also spдter werde eintreten dьrfen. ›Es ist mцglich‹, sagt der Tьrhьter, ›jetzt aber nicht‹. Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Tьrhьter beiseite tritt, bьckt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehen. Als der Tьrhьter das merkt, lacht er und sagt: ›Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meinem Verbot hineinzugehen. Merke aber: Ich bin mдchtig. Und ich bin nur der unterste Tьrhьter. Von Saal zu Saal stehen aber Tьrhьter, einer mдchtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr vertragen.‹ Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet, das Gesetz soll doch jedem und immer zugдnglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Tьrhьter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine groЯe Spitznase, den langen, dьnnen, schwarzen, tartarischen Bart, entschlieЯt er sich doch, lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Tьrhьter gibt ihm einen Schemel und lдЯt ihn seitwдrts von der Tьr sich niedersetzen. Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden und ermьdet den Tьrhьter durch seine Bitten. Der Tьrhьter stellt цfters kleine Verhцre mit ihm an, fragte ihn nach seiner Heimat aus und nach vielem anderen, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie groЯe Herren stellen, und zum Schlusse sagte er ihm immer wieder, daЯ er ihn noch nicht einlassen kцnne. Der Mann, der sich fьr seine Reise mit vielem ausgerьstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Tьrhьter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei: ›Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versдumt zu haben.‹ Wдhrend der vielen Jahre beobachtete der Mann den Tьrhьter fast ununterbrochen. Er vergiЯt die anderen Tьrhьter, und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis fьr den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglьcklichen Zufall in den ersten Jahren laut, spдter, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und da er in dem jahrelangen Studium des Tьrhьters auch die Flцhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flцhe, ihm zu helfen und den Tьrhьter umzustimmen. SchlieЯlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiЯ nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird oder ob ihn nur die Augen tдuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlцschlich aus der Tьre des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen ter ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Tьrhьter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Kцrper nicht mehr aufrichten kann. Der Tьrhьter muЯ sich tief zu ihm hinuntemeigen, denn die GrцЯenunterschiede haben sich sehr zuungunsten des Mannes verдndert. ›Was willst du denn jetzt noch wissen?‹ fragt der Tьrhьter, ›du bist unersдttlich.‹ ›Alle streben doch nach dem Gesetz‹, sagt der Mann, ›wie kommt es, daЯ in den vielen Jahren niemand auЯer mir EinlaЯ verlangt hat?‹ Der Tьrhьter erkennt, daЯ der Mann schon am Ende ist, und um sein vergehendes Gehцr noch zu erreichen, brьllt er ihn an: ›Hier konnte niemand sonst EinlaЯ erhalten, denn dieser Eingang war nur fьr dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schlieЯe ihn.‹«
»Der Tьrhьter hat also den Mann getдuscht«, sagte K. sofort, von der Geschichte sehr stark angezogen. »Sei nicht ьbereilt«, sagte der Geistliche, »ьbernimm nicht die fremde Meinung ungeprьft. Ich habe dir die Geschichte im Wortlaut der Schrift erzдhlt. Von Tдuschung steht darin nichts.« »Es ist aber klar«, sagte K., »und deine erste Deutung war ganz richtig. Der Tьrhьter hat die erlцsende Mitteilung erst dann gemacht, als sie dem Manne nicht mehr helfen konnte.« »Er wurde nicht frьher gefragt«, sagte der Geistliche, »bedenke auch, daЯ er nur Tьrhьter war, und als solcher hat er seine Pflicht erfьllt.« »Warum glaubst du, daЯ er seine Pflicht erfьllt hat?« fragte K., »er hat sie nicht erfьllt. Seine Pflicht war es vielleicht, alle Fremden abzuwehren, diesen Mann aber, fьr den der Eingang bestimmt war, hдtte er einlassen mьssen.« »Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und verдnderst die Geschichte«, sagte der Geistliche. »Die Geschichte enthдlt ьber den EinlaЯ ins Gesetz zwei wichtige Erklдrungen des Tьrhьters, eine am Anfang, eine am Ende. Die eine Stelle lautet: daЯ er ihm jetzt den Eintritt nicht gewдhren kцnne, und die andere: dieser Eingang war nur fьr dich bestimmt. Bestдnde zwischen diesen beiden Erklдrungen ein Widerspruch, dann hдttest du recht, und der Tьrhьter hдtte den Mann getдuscht. Nun besteht aber kein Widerspruch. Im Gegenteil, die erste Erklдrung deutet sogar auf die zweite hin. Man kцnnte fast sagen, der Tьrhьter ging ьber seine Pflicht hinaus, indem er dem Mann eine zukьnftige Mцglichkeit des Einlasses in Aussicht stellte. Zu jener Zeit scheint es nur seine Pflicht gewesen zu sein, den Mann abzuweisen, und tatsдchlich wundern sich viele Erklдrer der Schrift darьber, daЯ der Tьrhьter jene Andeutung ьberhaupt gemacht hat, denn er scheint die Genauigkeit zu lieben und wacht streng ьber sein Amt. Durch viele Jahre verlдЯt er seinen Posten nicht und schlieЯt das Tor erst ganz zuletzt, er ist sich der Wichtigkeit seines Dienstes sehr bewuЯt, denn er sagt: ›Ich bin mдchtig‹, er hat Ehrfurcht vor den Vorgesetzten, denn er sagt: ›Ich bin nur der unterste Tьrhьter‹, er ist nicht geschwдtzig, denn wдhrend der vielen Jahre stellt er nur, wie es heiЯt, ›teilnahmslose Fragen‹, er ist nicht bestechlich, denn er sagt ьber ein Geschenk: ›Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versдumt zu haben‹, er ist, wo es um Pflichterfьllung geht, weder zu rьhren noch zu erbittern, denn es heiЯt von dem Mann, ›er ermьdet den Tьrhьter durch sein Bitten‹, schlieЯlich deutet auch sein ДuЯeres auf einen pedantischen Charakter hin, die groЯe Spitznase und der lange, dьnne, schwarze, tartarische Bart. Kann es einen pflichttreueren Tьrhьter geben? Nun mischen sich aber in den Tьrhьter noch andere Wesenszьge ein, die fьr den, der EinlaЯ verlangt, sehr gьnstig sind und welche es immerhin begreiflich machen, daЯ er in jener Andeutung einer zukьnftigen Mцglichkeit ьber seine Pflicht etwas hinausgehen konnte. Es ist nдmlich nicht zu leugnen, daЯ er ein wenig einfдltig und im Zusammenhang damit ein wenig eingebildet ist. Wenn auch seine ДuЯerungen ьber seine Macht und ьber die Macht der anderen Tьrhьter und ьber deren sogar fьr ihn unertrдglichen Anblick – ich sage, wenn auch alle diese ДuЯerungen an sich richtig sein mцgen, so zeigt doch die Art, wie er diese ДuЯerungen vorbringt, daЯ seine Auffassung durch Einfalt und Ьberhebung getrьbt ist. Die Erklдrer sagen hierzu: ›Richtiges Auffassen einer Sache und MiЯverstehen der gleichen Sache schlieЯen einander nicht vollstдndig aus.‹ Jedenfalls aber muЯ man annehmen, daЯ jene Einfalt und Ьberhebung, so geringfьgig sie sich vielleicht auch дuЯern, doch die Bewachung des Eingangs schwдchen, es sind Lьcken im Charakter des Tьrhьters. Hiezu kommt noch, daЯ der Tьrhьter seiner Naturanlage nach freundlich zu sein scheint, er ist durchaus nicht immer Amtsperson. Gleich in den ersten Augenblicken macht er den SpaЯ, daЯ er den Mann trotz dem ausdrьcklich aufrechterhaltenen Verbot zum Eintritt einlдdt, dann schickt er ihn nicht etwa fort, sondern gibt ihm, wie es heiЯt, einen Schemel und lдЯt ihn seitwдrts von der Tьr sich niedersetzen. Die Geduld, mit der er durch alle die Jahre die Bitten des Mannes ertrдgt, die kleinen Verhцre, die Annahme der Geschenke, die Vornehmheit, mit der er es zulдЯt, daЯ der Mann neben ihm laut den unglьcklichen Zufall verflucht, der den Tьrhьter hier aufgestellt hat – alles dieses lдЯt auf Regungen des Mitleids schlieЯen. Nicht jeder Tьrhьter hдtte so gehandelt. Und schlieЯlich beugt er sich noch auf einen Wink hin tief zu dem Mann hinab, um ihm Gelegenheit zur letzten Frage zu geben. Nur eine schwache Ungeduld – der Tьrhьter weiЯ ja, daЯ alles zu Ende ist – spricht sich in den Worten aus: ›Du bist unersдttlich.‹ Manche gehen sogar in dieser Art der Erklдrung noch weiter und meinen, die Worte ›Du bist unersдttlich‹ drьcken eine Art freundschaftlicher Bewunderung aus, die allerdings von Herablassung nicht frei ist. Jedenfalls schlieЯt sich so die Gestalt des Tьrhьters anders ab, als du es glaubst.« »Du kennst die Geschichte genauer als ich und lдngere Zeit«, sagte K. Sie schwiegen ein Weilchen. Dann sagte K.: »Du glaubst also, der Mann wurde nicht getдuscht?« »MiЯverstehe mich nicht«, sagte der Geistliche, »ich zeige dir nur die Meinungen, die darьber bestehen. Du muЯt nicht zuviel auf Meinungen achten. Die Schrift ist unverдnderlich, und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darьber. In diesem Falle gibt es sogar eine Meinung, nach welcher gerade der Tьrhьter der Getдuschte ist.« »Das ist eine weitgehende Meinung«, sagte K. »Wie wird sie begrьndet?« »Die Begrьndung«, antwortete der Geistliche, »geht von der Einfalt des Tьrhьters aus. Man sagt, daЯ er das Innere des Gesetzes nicht kennt, sondern nur den Weg, den er vor dem Eingang immer wieder abgehen muЯ. Die Vorstellungen, die er von dem Innern hat, werden fьr kindlich gehalten, und man nimmt an, daЯ er das, wovor er dem Manne Furcht machen will, selbst fьrchtet. Ja, er fьrchtet es mehr als der Mann, denn dieser will ja nichts anderes als eintreten, selbst als er von den schrecklichen Tьrhьtern des Innern gehцrt hat, der Tьrhьter dagegen will nicht eintreten, wenigstens erfдhrt man nichts darьber. Andere sagen zwar, daЯ er bereits im Innern gewesen sein muЯ, denn er ist doch einmal in den Dienst des Gesetzes aufgenommen worden, und das kцnne nur im Innern geschehen sein. Darauf ist zu antworten, daЯ er wohl auch durch einen Ruf aus dem Innern zum Tьrhьter bestellt worden sein kцnnte und daЯ er zumindest tief im Innern nicht gewesen sein dьrfte, da er doch schon den Anblick des dritten Tьrhьters nicht mehr ertragen kann. AuЯerdem aber wird auch nicht berichtet, daЯ er wдhrend der vielen Jahre auЯer der Bemerkung ьber die Tьrhьter irgend etwas von dem Innern erzдhlt hдtte. Es kцnnte ihm verboten sein, aber auch vom Verbot hat er nichts erzдhlt. Aus alledem schlieЯt man, daЯ er ьber das Aussehen und die Bedeutung des Innern nichts weiЯ und sich darьber in Tдuschung befindet. Aber auch ьber den Mann vom Lande soll er sich in Tдuschung befinden, denn er ist diesem Mann untergeordnet und weiЯ es nicht. DaЯ er den Mann als einen Untergeordneten behandelt, erkennt man aus vielem, das dir noch erinnerlich sein dьrfte. DaЯ er ihm aber tatsдchlich untergeordnet ist, soll nach dieser Meinung ebenso deutlich hervorgehen. Vor allem ist der Freie dem Gebundenen ьbergeordnet. Nun ist der Mann tatsдchlich frei, er kann hingehen, wohin er will, nur der Eingang in das Gesetz ist ihm verboten, und ьberdies nur von einem einzelnen, vom Tьrhьter. Wenn er sich auf den Schemel seitwдrts vom Tor niedersetzt und dort sein Leben lang bleibt, so geschieht dies freiwillig, die Geschichte erzдhlt von keinem Zwang. Der Tьrhьter dagegen ist durch sein Amt an seinen Posten gebunden, er darf sich nicht auswдrts entfernen, allem Anschein nach aber auch nicht in das Innere gehen, selbst wenn er es wollte. AuЯerdem ist er zwar im Dienst des Gesetzes, dient aber nur fьr diesen Eingang, also auch nur fьr diesen Mann, fьr den dieser Eingang allein bestimmt ist. Auch aus diesem Grunde ist er ihm untergeordnet. Es ist anzunehmen, daЯ er durch viele Jahre, durch ein ganzes Mannesalter gewissermaЯen nur leeren Dienst geleistet hat, denn es wird gesagt, daЯ ein Mann kommt, also jemand im Mannesalter, daЯ also der Tьrhьter lange warten muЯte, ehe sich sein Zweck erfьllte, und zwar so lange warten muЯte, als es dem Mann beliebte, der doch freiwillig kam. Aber auch das Ende des Dienstes wird durch das Lebensende des Mannes bestimmt, bis zum Ende also bleibt er ihm untergeordnet. Und immer wieder wird betont, daЯ von alledem der Tьrhьter nichts zu wissen scheint. Daran wird aber nichts Auffдlliges gesehen, denn nach dieser Meinung befindet sich der Tьrhьter noch in einer viel schwereren Tдuschung, sie betrifft seinen Dienst. Zuletzt spricht er nдmlich vom Eingang und sagt: ›Ich gehe jetzt und schlieЯe ihn‹, aber am Anfang heiЯt es, daЯ das Tor zum Gesetz offensteht wie immer, steht es aber immer offen, immer, das heiЯt unabhдngig von der Lebensdauer des Mannes, fьr den es bestimmt ist, dann wird es auch der Tьrhьter nicht schlieЯen kцnnen. Darьber gehen die Meinungen auseinander, ob der Tьrhьter mit der Ankьndigung, daЯ er das Tor schlieЯen wird, nur eine Antwort geben oder seine Dienstpflicht betonen oder den Mann noch im letzten Augenblick in Reue und Trauer setzen will. Darin aber sind viele einig, daЯ er das Tor nicht wird schlieЯen kцnnen. Sie glauben sogar, daЯ er, wenigstens am Ende, auch in seinem Wissen dem Manne untergeordnet ist, denn dieser sieht den Glanz, der aus dem Eingang des Gesetzes bricht, wдhrend der Tьrhьter als solcher wohl mit dem Rьcken zum Eingang steht und auch durch keine ДuЯerung zeigt, daЯ er eine Verдnderung bemerkt hдtte.« »Das ist gut begrьndet«, sagte K., der einzelne Stellen aus der Erklдrung des Geistlichen halblaut fьr sich wiederholt hatte. »Es ist gut begrьndet, und ich glaube nun auch, daЯ der Tьrhьter getдuscht ist. Dadurch bin ich aber von meiner frьheren Meinung nicht abgekommen, denn beide decken sich teilweise. Es ist unentscheidend, ob der Tьrhьter klar sieht oder getдuscht wird. Ich sagte, der Mann wird getдuscht. Wenn der Tьrhьter klar sieht, kцnnte man daran zweifeln, wenn der Tьrhьter aber getдuscht ist, dann muЯ sich seine Tдuschung notwendig auf den Mann ьbertragen. Der Tьrhьter ist dann zwar kein Betrьger, aber so einfдltig, daЯ er sofort aus dem Dienst gejagt werden mьЯte. Du muЯt doch bedenken, daЯ die Tдuschung, in der sich der Tьrhьter befindet, ihm nichts schadet, dem Mann aber tausendfach.« »Hier stцЯt du auf eine Gegenmeinung«, sagte der Geistliche. »Manche sagen nдmlich, daЯ die Geschichte niemandem ein Recht gibt, ьber den Tьrhьter zu urteilen. Wie er uns auch erscheinen mag, ist er doch ein Diener des Gesetzes, also zum Gesetz gehцrig, also dem menschlichen Urteil entrьckt. Man darf dann auch nicht glauben, daЯ der Tьrhьter dem Manne untergeordnet ist. Durch seinen Dienst auch nur an den Eingang des Gesetzes gebunden zu sein, ist unvergleichlich mehr, als frei in der Welt zu leben. Der Mann kommt erst zum Gesetz, der Tьrhьter ist schon dort. Er ist vom Gesetz zum Dienst bestellt, an seiner Wьrdigkeit zu zweifeln, hieЯe am Gesetz zweifeln.« »Mit dieser Meinung stimme ich nicht ьberein«, sagte K. kopfschьttelnd, »denn wenn man sich ihr anschlieЯt, muЯ man alles, was der Tьrhьter sagt, fьr wahr halten. DaЯ das aber nicht mцglich ist, hast du ja selbst ausfьhrlich begrьndet.« »Nein«, sagte der Geistliche, »man muЯ nicht alles fьr wahr halten, man muЯ es nur fьr notwendig halten.« »Trьbselige Meinung«, sagte K. »Die Lьge wird zur Weltordnung gemacht.«
K. sagte das abschlieЯend, aber sein Endurteil war es nicht. Er war zu mьde, um alle Folgerungen der Geschichte ьbersehen zu kцnnen, es waren auch ungewohnte Gedankengдnge, in die sie ihn fьhrte, unwirkliche Dinge, besser geeignet zur Besprechung fьr die Gesellschaft der Gerichtsbeamten als fьr ihn. Die einfache Geschichte war unfцrmlich geworden, er wollte sie von sich abschьtteln, und der Geistliche, der jetzt ein groЯes Zartgefьhl bewies, duldete es und nahm K.s Bemerkung schweigend auf, obwohl sie mit seiner eigenen Meinung gewiЯ nicht ьbereinstimmte.
Sie gingen eine Zeitlang schweigend weiter, K. hielt sich eng neben dem Geistlichen, ohne zu wissen, wo er sich befand. Die Lampe in seiner Hand war lдngst erloschen. Einmal blinkte gerade vor ihm das silberne Standbild eines Heiligen nur mit dem Schein des Silbers und spielte gleich wieder ins Dunkel ьber. Um nicht vollstдndig auf den Geistlichen angewiesen zu bleiben, fragte ihn K.: »Sind wir jetzt nicht in der Nдhe des Haupteinganges?« »Nein«, sagte der Geistliche, »wir sind weit von ihm entfernt. Willst du schon fortgehen?« Obwohl K. gerade jetzt nicht daran gedacht hatte, sagte er sofort: »GewiЯ, ich muЯ fortgehen. Ich bin Prokurist einer Bank, man wartet auf mich, ich bin nur hergekommen, um einem auslдndischen Geschдftsfreund den Dom zu zeigen.« »Nun«, sagte der Geistliche, und reichte K. die Hand, »dann geh.« »Ich kann mich aber im Dunkel allein nicht zurechtfinden«, sagte K. »Geh links zur Wand«, sagte der Geistliche, »dann weiter die Wand entlang, ohne sie zu verlassen, und du wirst einen Ausgang finden.« Der Geistliche hatte sich erst ein paar Schritte entfernt, aber K. rief schon sehr laut: »Bitte, warte noch!« »Ich warte«, sagte der Geistliche. »Willst du nicht noch etwas von mir?« fragte K. »Nein«, sagte der Geistliche. »Du warst frьher so freundlich zu mir«, sagte K., »und hast mir alles erklдrt, jetzt aber entlдЯt du mich, als lдge dir nichts an mir.« »Du muЯt doch fortgehen«, sagte der Geistliche. »Nun ja«, sagte K., »sieh das doch ein.« »Sieh du zuerst ein, wer ich bin«, sagte der Geistliche. »Du bist der Gefдngniskaplan«, sagte K. und ging nдher zum Geistlichen hin, seine sofortige Rьckkehr in die Bank war nicht so notwendig, wie er sie dargestellt hatte, er konnte recht gut noch hierbleiben.
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